Innovation in Tirol (Dezember 2019)

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DAS MAGAZIN ZU FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG AUSGABE 02/2019

Wie die Zukunft der Fleischverpackung aussehen könnte.

VERSPERRT

Was Strom zum Schutz von Fischen beitragen kann.

VERSTANDEN

Woran es bei der Umsetzung von Gelerntem oft scheitert.

VERRATEN

Wie ihr Hunger nach Eisen Pilzinfektionen zum Verhängnis werden könnte.


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Technologie

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EDITORIAL

Inhalt

© SHUTTERSTOCK.COM

TECHNISCHER SCHNEE

Liebe Leserinnen, liebe Leser

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TECHNOLOGIE & FORSCHUNG ₀₆

Muskeln zum Anziehen

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Vom Kleinen ins Große

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Neues zum Thema Technologie & Forschung

₁₆ © MEDIZINISCHE UNIVERSITÄT INNSBRUCK

In Ruhe chillen

PSYCHOLOGIE & MEDIZIN ₁₈

Politik und Populismus

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Dem Pilz auf der Spur

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Neuer Blick ins Herz

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Bewerten lernen

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Geteiltes Leid ist halbes Leid

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Neues zum Thema Psychologie & Medizin

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© AXEL SPRINGER

Von Likes und Shares

UMWELT & NACHHALTIGKEIT Materialschlacht

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Fischschutz mit Strom

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Monochrome Mikroben

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Duschen mit Sophie

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Neues zum Thema Umwelt & Nachhaltigkeit

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ERFINDERINNENGEIST

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as Jahrzehnt neigt sich seinem Ende entgegen – und seit 2010 ist viel passiert. Das Internet ist allgegenwärtig. Autos sind im Begriff, von Benzin auf Akkus umzusatteln – und Batterie-Technologie macht das auch wirtschaftlich zunehmend sinnvoller. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen öffnen Tür und Tor für eine Generation von Maschinen, die bereits in der Lage wären, Aufgaben schneller, besser und sicherer zu bewältigen als Menschen. All das und mehr bildet das Fundament, auf dem die 2020er stehen werden, ein Jahrzehnt geprägt von Automatisierung und Vernetzung. Diese Fortschritte bringen Chancen mit sich, die die Aufmerksamkeit heller Köpfe auf sich ziehen – auch in Tirol. So entwickelt Robert Weidner an der Universität Innsbruck Exoskelette – Maschinen, die, wie ein Rucksack getragen, ihren Benutzer bei körperlichen Aufgaben unterstützen. An der Fachhochschule Kufstein Tirol widmet man sich automatisierter Mobilität und Systemen, die bald autonomen Verkehr koordinieren sollen. Doch viel Licht bringt viel Schatten. Die Automatisierungsrevolution ist eine von vielen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen. Wie die Vernetzung uns beeinflusst, wissen Raffael Heiss, der am MCI erforscht, was digitale Medien für die Politik bedeuten, und André Haller, der sich an der FH Kufstein Tirol mit populistischen Strömungen befasst. Die größten Umbrüche erwarten uns angesichts des Klimawandels gegenüber. Auch hier tragen Tiroler ihr Scherflein bei – wie Pavel Sevela, der mit einem Wärmetausch-System den Energiebedarf von Duschen um bis zu 80 Prozent senken will, oder Katrin Bach, die am MCI nach Materialien forscht, um Fleisch sicher, aber umweltschonend zu verpacken. Diese und viele andere spannende Projekte, direkt vor unserer Haustür, wollen wir auch in dieser Ausgabe von Innovation in Tirol wieder ins Rampenlicht holen – und Ihnen einen kleinen Ausblick auf die spannenden Entwicklungen geben, die uns in den kommenden Jahren erwarten.

Die Redaktion

Impressum Innovation in Tirol, Beilage der „Tiroler Tageszeitung“ Herausgeber, Medieninhaber und Verleger: TARGET GROUP Publishing GmbH | Redaktion: Daniel Feichtner, Theresa Kleinheinz, Simon Leitner, Haris Kovacevic, Katharina Wildauer, Lisa Schwarzenauer, Daniel Schreier | Layout: Sebastian Platzer, Alina Klampfer Illustrationen: Alina Klampfer, Monika Cichon Gesamtverkaufsleitung: Wolfgang Mayr | Anschrift für alle: Brunecker Straße ₃, ₆₀2₀ Innsbruck, T: ₀₅₁2/₅₈ ₆₀ 2₀, E: office@target-group.at, www.target-group.at Druck: Intergraphik GmbH, Innsbruck

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INFOGRAFIK

Technischer Schnee Wenn der Schnee zu spät oder zu spärlich vom Himmel fällt, muss man auf technische Mittel ausweichen, um den Skibetrieb am Laufen zu halten. Wie viel Kunst steckt wirklich hinter dem „Kunstschnee“? Von Theresa Kleinheinz

SCHNEE ≠ SCHNEE NATÜRLICHER SCHNEE

TECHNISCHER SCHNEE

entsteht durch

entsteht durch

Feuchtigkeit in Wolken,

Wasser, das die Wolke ersetzt.

hat Zeit

Druck ersetzt die Zeit.

und benötigt genau die richtige Temperatur.

Das kann innerhalb eines breiteren Temperaturspektrums geschehen.

In der Wolke und auf dem Weg zum Boden hat der Schneekristall Zeit, seine einzigartige Form auszubilden.

Die Form des technischen Schnees erinnert eher an einen Styroporkugel.

WASSER In Tirol ist für die Beschneiung Trinkwasserqualität vorgeschrieben. Um diese sicherzustellen, wird das Wasser manchmal sogar mit UV-Licht bestrahlt.

LANZEN UND KANONEN Beschneit wird meist mit zwei Systemen: Schneilanzen am Pistenrand sieht man oft untertags im Einsatz. Sie produzieren kontinuierlich Schnee. Schneekanonen stellen dagegen große Mengen in kurzer Zeit her, die mit Propellern verteilt werden. Deswegen werden sie in der Regel über Nacht verwendet. Die Technologie, die in beiden Systemen steckt, ist aber die gleiche.

In Österreich dürfen, im Gegensatz zur Schweiz oder den USA, keine chemischen Mittel beigemengt werden. Je kälter das Wasser, desto besser lässt sich Schnee erzeugen. Bestenfalls liegt die Temperatur leicht über 0° C.

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INFOGRAFIK

SO ENTSTEHT DIE „FLOCKE“

WASSERDÜSEN versprühen normales Wasser.

In Beschneiungssystemen wird Wasser mit Druckluft vermischt. Das Gemisch wird durch die Nukleationsdüse in die Luft hinausgeschossen. Dort herrscht Normaldruck, im Tropfen Hochdruck. Wegen des schnellen Druckabfalls zerplatzt er und gefriert sofort zu kleinen Eiskeimen. Nun kommt das Wasser aus den normalen Düsen ins Spiel: Es gefriert, sobald es mit dem Keim in Kontakt kommt. Je niedriger die Temperatur, desto mehr Wasserdüsen können zugeschaltet werden.

NUKLEATIONSDÜSEN versprühen ein Gemisch aus Wasser und Druckluft .

Eiskeim zerplatzt

Eiskeime verbinden sich mit Wasser

technische Schneeflocke

FEUCHTTEMPERATUR Bei der technischen Schneeerzeugung richtet man sich nach der sogenannten Feuchttemperatur. Sie errechnet sich aus Lufttemperatur und -feuchtigkeit. Je niedriger die Luftfeuchtigkeit, desto niedriger ist die Feuchtkugeltemperatur. Sinkt sie unter -2,₅° C, kann technisch beschneit werden.

DER EXPERTE

Zum Beispiel: ₃₀ % Luftfeuchtigkeit bei 2° C entsprechen einer Feuchttemperatur von -2,₈° C.

Michael Rothleitner ist studierter Jurist. Sein Weg in die Schneeproduktion hat über die Mayrhofner Bergbahnen AG geführt: Von 2₀₀₆ bis 2₀₀₉ war er dort Vizepräsident des Aufsichtsrates. Danach wechselte er in den Vorstand. Seit 2₀₁₆ arbeitet Rothleitner im Schneezentrum Tirol daran, die technische Schneeerzeugung effizienter zu machen.

RECHENBEISPIEL Würde man ein Fußballfeld mit ₆0 cm technischem Schnee bedecken, bräuchte man ca. 2.100.000 Liter Wasser. Das entspricht 1₄.000 Badewannen.

₆₀ cm ₁₄.₀₀₀ X

=

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TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

© SHUTTERSTOCK.COM

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TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

In Ruhe chillen Kühlschränke sind ein gutes Beispiel dafür, dass innere Werte zählen: Eigentlich sollen sie ihren Inhalt schützen und frisch halten. Doch die Kühltechnik kann auch zum Problem werden. Erzeugt sie Vibrationen, können diese besonders empfindlichem Kühlgut schaden. Von Theresa Kleinheinz

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01 Schwingungen und Vibrationen sind zwar unsichtbar, aber nicht ohne Folgen: Sie können Geräusche erzeugen und bei besonders empfindlichem Kühlgut sogar zu Veränderungen und Schäden führen.

ames Bond trinkt seinen Wodka Martini geschüttelt, nicht gerührt. Das hat einen Grund: Durch die Bewegung kommen jene Moleküle an die Oberfläche, die dem Getränk seinen Geschmack verleihen, den es daraufhin entfaltet. Vibrationen können also Substanzen verändern. Was beim Barkeeper gewünscht ist, kann im Kühlschrank aber zum Problem werden. Dessen mechanische Teile – vom Lüfter über den Kompressor bis hin zur zuschlagenden Türe – können, ebenso wie externe Faktoren, wie zum Beispiel eine vorbeifahrende Straßenbahn, Schwingungen erzeugen. Diesem Phänomen will ein Projektteam der UMIT – Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik am Standort Lienz entgegenwirken. Die Forschung läuft unter dem Titel „Smart Wave Vanisher“. Fadi Dohnal, der wissenschaftliche Betreuer des Doktoratsprojekts versteht darunter, „konstruktive Lösungsmöglichkeiten zu finden, um die Schwingungen zu vermeiden, bevor sie überhaupt wirksam werden.“ Man bekämpft also nicht die Ursache der Schwingungen, sondern schränkt sie auf ihrem Übertragungsweg ein. Durchgeschüttelt Dass die Schwingungen Auswirkungen auf den Inhalt haben, ist bestätigt – nicht nur durch James Bond. Erste Studien 7

Fadi Dohnal ist Leiter der Division für Mechatronik in Lienz. Er betreut das Doktoratsprojekt „Smart Wave Vanisher“.

gibt es bisher etwa für Rotwein: Demnach beschleunigen die Vibrationen den Reifungsprozess des Weines, und das möchte man vermeiden. „Schwingungen kann man sich in der stärksten Ausprägung wie Schütteln vorstellen“, erklärt Fadi Dohnal. „Sie durchmischen den Inhalt der Flasche, was zu chemischen Prozessen führt.“ Man müsse sich zwar nicht fürchten, dass die Bewegungen des Kühlschranks die Wurst oder das Jogurt verändern. „Wir sind da bei niedrigen Schwingstärken, die mit menschlicher Wahrnehmung kaum erfassbar sind, aber bei besonders empfindlichen biologischen Proben trotzdem Auswirkungen haben“, so der Wissenschaftler. Aber es gibt durchaus Waren, die davon betroffen


TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

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TRANSFERPFADANALYSE Wolfgang Hörtnagel

„Wir wollen noch das letzte Prozent herausholen.“ Quellen

Struktur

Kühlgut

01 Mithilfe der Transferpfadanalyse findet das Team heraus, auf welchem Weg die Schwingungen zu den Produkten im Kühlschrank gelangen. 02 Die Sensoren sind am Kühlgut angeschlossen und zeichnen die Schwingungen auf.

sind: kostbarer Wein, Spenderorgane und voraussichtlich auch flüssige Arzneimittel und Impfstoffe zählen dazu. Und gerade hier sind Veränderungen besonders problematisch. Außerdem zeigen sich die Effekte umso stärker, je länger die Produkte im Kühlschrank gelagert werden. „Natürlich gibt es bereits Konzepte, mit denen man Schwingungen vermeidet.“ Allerdings sieht Dohnal noch deutlich Raum für Verbesserung – und ist ambitioniert: „Wir wollen noch das letzte Prozent herausholen – gewissermaßen das Kühlgut wie einen Fahrgast in einer Luxuslimousine befördern.“ Nur in einem perfekt schwingungsarm konstruierten Fahrzeug gelinge es, dass man selbst über Schotterwege und Schlaglöcher fahren könne, ohne es zu merken.

muss beim Kühlschrank allerdings anders sein: „Hier geht es nämlich um sehr kleine Schwingungen. Da ist das Eigenrauschen der elektronischen Sensoren immer ein Thema“, berichtet der Doktorand Wolfgang Hörtnagel. „Wenn das Signal, das man eigentlich messen will, nicht sehr deutlich über dem Rauschen liegt, dann spricht man von ‚verrauschten Messsignalen‘. Da gibt es mathematische Verfahren, die die verwertbaren Informationen herauskitzeln. Und eine solche Methode habe ich eigens für unser Problem entwickelt.“ Das Modell wurde wegen seiner Neuheit auf einer internationalen Fachtagung vorgestellt. Eingesetzt wurde diese Methode beim Testen verschiedener Szenarien, vom Vorbeigehen am Kühlschrank über das Öffnen der Türe und so weiter. All diese

Den Ursachen auf der Spur Bevor dieses restliche Potenzial ausgeschöpft werden kann, müssen die Forscher die Wege finden, über die diese Vibrationen übertragen werden. Dazu greifen sie auf eine grundsätzlich bekannte Methode – die sogenannte Transferpfadanalyse (TPA) – zurück. Diese kommt bereits in vielen Bereichen zum Einsatz – unter anderem, um die Vibrationsausbreitung in Konzerthallen oder bei Raketenstarts zu analysieren. Die mathematische Auswertung

Einflüsse wurden von Sensoren wahrgenommen und aufgezeichnet. So konnten die genauen Auswirkungen unterschiedlicher Störungsquellen ermittelt und dokumentiert werden. Vom Problem zur Umsetzung Seit etwas mehr als einem Jahr arbeitet das Projektteam daran und hat die für Kühlschränke typischen Transferpfade mittlerweile identifiziert. Jetzt geht es an die Umsetzung: Jede Komponente des Kühlschranks wird nun einzeln betrachtet. „Manche Teile müssen relativ starr sein, um die Funktion sicherzustellen“, sagt Hörtnagel. Bei anderen könne man wiederum mit Maß- oder Designänderungen eingreifen, um sie flexibler zu machen. Was geändert werden muss, hängt vom Auslöser der Vibration ab.

Wolfgang Hörtnagel ist Universitätsassistent und Doktorand im DoktorandInnen Programm der Tiroler Privatuniversität UMIT und der Universität Innsbruck am Campus Technik Lienz. Mit dem Forschungsprojekt „Smart Wave Vanisher“ möchte er neue Konzepte entwickeln und den Doktortitel erwerben.

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TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

© TIROLER PRIVATUNIVERSITÄT UMIT (2)

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Man unterscheidet hier zwischen äußeren und inneren Schwingungsquellen. Es kommt also darauf an, ob die Ursache außen – zum Beispiel an der Straßenbahn – oder innen – etwa am Kompressor – liegt. Müsste nun jede Lösung einzeln gebaut und getestet werden, wäre dies ein enormer Zeit- und Ressourcenverbrauch. Wolfgang Hörtnagels mathematisches Modell macht es möglich, dass man viele Varianten simulieren und testen kann. Stefan Plagg

„Es ist nicht Ziel, ein Hightech­Produkt zu generieren, das tausende Euros kostet. Wir wollen die Lösungen industriell umsetzbar machen.“ Herausforderungen Laut Stefan Plagg von der Entwicklungsabteilung beim Kooperationspartner Liebherr gibt es noch andere Hindernisse: „Man kann sich nicht für jedes Gerät einen eigenen Verdichter oder eine eigene Anschlussplatte gestalten

lassen. Das würde zu viel kosten.“ Man könne also nicht jedes Bauteil einzeln designen, sondern müsse auf Elemente von der Stange zurückgreifen. Deshalb müssen sich die Entwickler kreative Lösungen einfallen lassen, die auf einem anderen Weg, unabhängig vom Hersteller der Einzelteile, umsetzbar sind. Vor eine zusätzliche Herausforderung stellen die Entwickler Energieeffizienzmaßnahmen, die in mittlerweile allen Kühlgeräten zu finden sind: Liefen Kompressoren früher jedes Mal, wenn die Innentemperatur des Kühlschranks zu hoch stieg, auf voller Leistung, passen sich diese heute daran an, wie viel Kühlung benötigt wird. Das spart viel Energie – erzeugt aber auch Schwingungen in verschiedenen Frequenzen, die auf ihrem Weg zum Kühlgut unterschiedlich gedämpft werden müssen. Für den Hausgebrauch Während Normalverbraucher von den Effekten auf den Inhalt nicht sonderlich viel mitbekommen, haben die Schwingungen noch einen zweiten Effekt: den Lärm. Der Trend liegt seit ein paar Jahren bei großen Wohnküchen. Das bedeutet, dass sich die Geräte im Lebensraum der Bewohner befinden und deshalb möglichst geräuschlos sein sollen. Die Übertragungswege hin zum Kühlschrank und umgekehrt vom Kühl9

Stefan Plagg ist Akustiker. Seit 2016 ist er in der Entwicklungsabteilung bei Liebherr Hausgeräte in Lienz tätig.

schrank hin zum Wohnraum versuchen die Entwickler zum Beispiel an den Füßen des Geräts zu blockieren. Letztendlich sollen so nicht nur medizinische Labore und GourmetRestaurants von den Entwicklungen profitieren: „Es ist nicht Ziel, ein Hightech-Produkt zu generieren, das tausende Euros kostet. Wir wollen die Lösungen für den Hausgebrauch umsetzbar machen“, sagt Stefan Plagg. So könnte die Entwicklung in Zukunft nicht nur die Lagerung von teuren Weinen und Medikamenten verbessern, sondern auch zu einem angenehmeren und geräuschärmeren Wohnklima beitragen.


TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

Muskeln zum Anziehen Bis vor Kurzem waren sie pure Science-Fiction: Exoskelette, die Muskelkraft unter­ stützen oder sogar verstärken. Doch neue Technologien rücken Maschinen zum Anziehen in greifbare Nähe. Robert Weidner und sein Team entwickeln an der Universität Innsbruck Systeme für unterschiedliche Zielgruppen. Von Daniel Feichtner

GESTÄRKTER RÜCKEN

GUT FIXIERT Das System kann „weich“ sein, weil es Kräfte entlang der Wirbelsäule und der Oberschenkel erzeugt – parallel zum Skelett des Trägers. Damit sie wirken können, muss es in der Körpermitte und an seinen Endpunkten – den Schultern und an den Oberschenkeln, über den Knien – gut fixiert sein.

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© HELMUT-SCHMIDT-UNIVERSITÄT, TIM SCHUBERT (5)

In vielen Bereichen führt das Heben von Lasten zu Rücken- und Wirbelsäulenproblemen. Hilfe verspricht ein rückenentlastendes, „weiches“ Exoskelett, das Muskeln in den Oberschenkeln und der Lendenwirbelsäule unterstützt. Dabei braucht es weder Streben noch steife Teile, ist gerade einmal 2,4 Kilogramm schwer und bequem zu tragen.


TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

UNTERSTÜTZUNG STATT ERSATZ Ein Exoskelett greift ein, wenn die Belastung für die Muskeln zu groß wird oder zu lange andauert – wie ein E-Bike, das beim Tritt in die Pedale Kraft beisteuert. So bleiben Trainingseffekt und Muskelkraft erhalten, während zu große Beanspruchung und die Gefahr von sogenannten Muskel-SkelettErkrankungen vermieden werden.

RUCKSACK Das digitale „Gehirn“ und die Motoren sind – ebenso wie die hier nicht abgebildete Stromquelle – am Rücken des Trägers untergebracht. Hier sind sie nicht im Weg und fallen kaum ins Gewicht.

MIT LUCY ÜBER KOPF

Im wahrsten Sinne des Wortes unter die Arme greift „Lucy“ bei Tätigkeiten in und über Kopfhöhe. Wer mit über den Schultern erhobenen Armen arbeitet, ermüdet nicht nur, sondern riskiert auch Schäden der Rücken- und Nackenpartie. Lucy erkennt mit Sensoren, wann die Arme über ein bestimmtes Niveau gehoben werden. Ist diese Schwelle überschritten, greift Lucy helfend ein und unterstützt mit sanftem Druck von unten gegen die Oberarme, um diese und die Schultern zu entlasten.

KÜNSTLICHE MUSKELN Natürliche Muskulatur besteht aus Fasern, die sich zusammenziehen und strecken. Als Ersatz dafür verwendet das Exoskelett gebündelte Schnüre. Verdreht ein Elektromotor diese miteinander, verkürzen sie sich, dreht man sie wieder in die Gegenrichtung, entspannt sich der „Muskel“. So kann in Sekundenbruchteilen große Kraft übertragen werden.

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TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

SCHRITTMACHER Nach Schlaganfällen leiden Patienten oft unter einer Fußhebeschwäche. Sie haben Schwierigkeiten, beim Gehen ein Bein und speziell die Spitze des Fußes anzuheben. Das ist nicht nur sehr mühsam, sondern erhöht auch die Gefahr zu stolpern und zu stürzen enorm. Das von Weidners Team entwickelte Sprunggelenk-Exoskelett unterstützt Patienten, den Fuß im richtigen Moment zu heben.

Robert Weidner hat in Hamburg Maschinenbau studiert. Dort leitet er die Nachwuchsgruppe smart ASSIST und die Forschungsgruppe Robotik und Automatisierung an der Helmut-Schmidt-Universität. In Innsbruck ist er als Leiter des Lehrstuhls für Fertigungstechnik am Institut für Mechatronik der Leopold-Franzens-Universität und als Geschäftsführer des universitären Spin-offs exoIQ tätig.

© HELMUT-SCHMIDT-UNIVERSITÄT, TIM SCHUBERT (2)

SENSOR-SOHLE Das Um und Auf für das richtige Funktionieren des Exoskeletts ist das Timing. Für dieses sorgt eine druckempfindliche Sohle, die erkennt, welcher Bereich des Fußes Kontakt zum Boden hat. Daraus kann das System ableiten, in welcher Bewegungsphase sich sein Träger befindet und im richtigen Moment unterstützend eingreifen.

VOM RÜCKEN ZUM FUSS Auch bei diesem System sind sowohl die Steuerung als auch der Motor, der die Arbeit verrichtet, in der Körpermitte angebracht. Von dort aus wird die Kraft über einen Seilzug an die Fußspitze übertragen.

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TECHNIK

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TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

Vom Kleinen ins Große Die Fachhochschule Kufstein Tirol entwickelt Grundlagen für Verkehrsleitsysteme von morgen. Dabei helfen ihnen Drohnen, Lösungen für große Probleme im kleinen, aber gut skalierbaren Maßstab zu entwickeln. Von Daniel Feichtner

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rohnen sind weit verbreitet. Vom handtellergroßen Spielzeug über die fliegende Kamera, die atemberaubende Naturaufnahmen liefert, bis hin zur Kartographierungsdrohne, mit der automatisiert ganze Landstriche in kürzester Zeit vermessen werden können. Doch auch wenn sie für nahezu jeden erdenklichen Zweck verfüg- und ausrüstbar sind, ist ihr Einsatz auf Nischenbereiche beschränkt. „Dafür ist in Österreich auch die Gesetzeslage verantwortlich“, weiß Mario Döller, Rektor der Fachhochschule Kufstein Tirol.

Mario Döller ist habilitierter Informatiker und leitet seit 2016 als Rektor die FH Kufstein Tirol. Zudem lehrt er als Professor für multimediale und webbasierte Informationssysteme an der FH Kufstein Tirol und der Universität Passau.

Tiroler eng mit Swarco, der Technischen Universität Graz und dem DLR GfR, einem Unternehmen des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums, zusammen. Ein weiteres Projekt forscht im Konsortium an einem Verkehrsleitsystem, um einen Korridor aufzuspannen: einen Raum, innerhalb dessen Grenzen Fahrzeuge sich bewegen, überwacht, koordiniert aber auch ausgesperrt werden können. Ein solcher Bereich ist Grundvoraussetzung für Drohnenflüge – und die Abwicklung jeder anderen Form automatisierten Verkehrs. Der „KuKi-Korridor“ soll sich von Kufstein bis Kiefersfelden erstrecken. Die Fachhochschule wird als Kontrollzentrum fungieren, das die Bewegungs- und Positionsdaten von „kooperativen Teilnehmern“ in Echtzeit sammelt und auswertet. „Darunter versteht man Fahrzeuge – in unserem Fall Drohnen –, die aktiv ihre Präsenz und Aktivität bekanntgeben“, erklärt Döller. KuKi ist dabei der Anfang: „Auf lange Sicht wird sich so ein Korridor von München bis Italien spannen“, meint er.

Übergangslösung Der kommerzielle Drohnen-Einsatz unterliegt hierzulande strengen Regeln. Fluggeräte müssen registriert und Flüge behördlich genehmigt werden. „Das ist keine Dauerlösung“, ist Döller sicher. Denn auch wenn noch nicht erkennbar ist, in welchen Bereichen Drohnen sich bald großflächig etablieren: Dass Industrien auf ihr breites Anwendungsspektrum verzichten werden, ist unwahrscheinlich. „Die Gesetzgebung ist wohl eine Reaktion auf die rasche Verbreitung unbemannter Fluggeräte“, vermutet er. „Einschränkungen oder Verbote sind schnell erlassen – als Zwischenlösung, bis die Technik aufgeholt hat, um den sicheren Einsatz zu ermöglichen.“ Virtuelle Fahrbahn Der Wettlauf um marktreife Lösungen hat schon lange begonnen. Und wie so oft fußt die Technologie von morgen dabei auf der Grundlagenforschung von heute. Viele Unternehmen kooperieren deshalb mit Forschungseinrichtungen – und nicht zuletzt der FH Kufstein Tirol. Aktuell befassen sich dort mehrere Doktoranden mit Drohnen. In einem vom Land Tirol geförderten Leuchtturmprojekt beteiligt sich die Hochschule an der Entwicklung eines Verkehrsmonitoringsystems. Dabei arbeiten die

Schwarmverhalten Nicht zuletzt um „unkooperative Teilnehmer“ dreht sich ein Projekt, an dem die Forscher mit der Bezirksfeuerwehr Kufstein arbeiten. Die Bezirksfeuerwehr ist dabei der perfekte Partner: Sie gilt österreichweit als Vorreiter und setzt seit zwei 14


TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

01 01 Drohnen sind ideale Test-Objekte, um Konzepte für automatisierten Verkehr zu entwickeln. 02 Der Festsaal der FH Kufstein Tirol wird dafür in den kommenden Monaten zum Drohnen-Labor umgerüstet.

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Mario Döller, Rektor FH Kufstein Tirol

© FH KUFSTEIN TIROL (2)

„ Einschränkungen oder Verbote sind schnell erlassen – als Zwischen­ lösung, bis die Technik aufgeholt hat, um den sicheren Einsatz zu ermöglichen.“

Drohnen-Labor machen. Mehrere Netze werden dann sichere Indoor-Flüge unabhängig von Wind und Wetter ermöglichen. Erste Ergebnisse und weitere Pläne will die FH Kufstein kommendes Frühjahr präsentieren: „Dann sind wir am 26. und 27. März Gastgeber der Alpine Drone Conference 2020“, erklärt der Rektor. „Dazu erwarten wir Wissenschaftler, Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen, um zu erörtern, wie die Zukunft des Einsatzes autonomer Fluggeräte aussehen könnte.“

Jahren Drohnen ein. „Gerade im Blaulicht-Bereich bieten Drohnen großen Mehrwert“, sagt Döller. Egal ob bei der Vermisstensuche, der Detektion von Gefahrengut oder von Glutnestern: „Die Vogelperspektive und die Abstimmung mehrerer Fluggeräte aufeinander hat gewaltiges Potenzial – allerdings müssen sie zentral koordiniert werden.“ Um Blaulichtorganisationen problemlose Drohnenflüge zu ermöglichen, tüfteln die Entwickler an einem mobilen Korridor. Dieser kann nach Bedarf aufgespannt werden und Fluggeräte, die nicht aktiv ihre Position bekanntgeben, anhand eines Drohnendetektionssystems erkennen. So könnte ein solches System den Drohnen-Einsatz in NotfallSzenarien deutlich effektiver und sicherer machen.

Experimentieren im Maßstab

Test-Gelände Um ihre Ideen umzusetzen, stehen den Projektteams der FH drei Drohnen und ein Detektionssystem zur Verfügung. „Dabei profitieren wir von Skalierbarkeit“, meint Döller. „Ob wir drei, sechs oder zwölf Drohnen koordinieren ist zwar eine Frage von Sende- und Rechenleistung, im Prinzip aber nahezu dasselbe. So können wir in kleinem Rahmen Technologie entwickeln, die auf deutlich größere Systeme angewendet wird.“ Zudem sind bis ins kommende Frühjahr Umbaumaßnahmen geplant, die den Festsaal der Hochschule zum

Drohnen sind nur der Anfang: Als Vorboten der Automatisierungs-Revolution, deren Schwelle wir gerade überschreiten, lassen sich mit ihnen bereits jetzt eine Vielzahl der Herausforderungen erzeugen, denen wir uns bald gegenübersehen werden: „Detektion, Steuerung und Koordination sind Aspekte automatisierter Mobilität – egal ob in der Luft, auf der Straße oder im Wasser, mit Passagieren oder ohne“, ist Mario Döller überzeugt. Drohnen und Drohnenschwärme liefern dabei die perfekte Vorlage: „Sie sind verfügbar, verhältnismäßig kostengünstig und können mit einfachen Mitteln umgerüstet, -gebaut und -programmiert werden, um Szenarien zu simulieren und zu testen. So können wir viel Know-how entwickeln, das bald immensen Wert haben wird.“

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MEDIZIN

AUSSERDEM: NEUES ZUM THEMA

TECHNOLOGIE & FORSCHUNG

DIGITALE PROTOTYPEN Einen oder gar mehrere Prototypen zu bauen, ist oft der zeit- und kostenaufwendigste Teil im Entstehungsprozess neuer Technologien, Systeme und Produkte. Digitale Simulationen haben entsprechend großes Beschleunigungsund Einsparungspotenzial.

PEPPER SAGT HALLO In Japan entwickelt, erobert der 120 Zentimeter große, humanoide Roboter Pepper im Moment verschiedenste Branchen. Mit Kulleraugen, HD-Kameras, Lautsprechern, Mikrophonen sowie den Fähigkeiten, Menschen zu erkennen und sich mit ihnen zu unterhalten, ausgestattet, eignet er sich hervorragend als Schnittstelle zwischen Menschen und automatisierten Systemen. Auch der Tiroler Hotel-Software-Entwickler Casablanca sieht in der cleveren Maschine großes Potenzial. Gekoppelt an die hauseigene Software, soll Pepper ab kommenden August als digitaler Rezeptionist tätig sein, der vor allem zu Stoßzeiten oder in der Nacht seine menschlichen Kollegen unterstützt.

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© ALEXANDER TOLSTYKH / SHUTTERSTOCK.COM, CASABLANCA HOTELSOFTWARE GMBH, SHUTTERSTOCK.COM, ROBOTICS

Tiroler Unternehmen bei der Entwicklung solcher „digitaler Zwillinge“ – virtueller Abbildungen zur Simulation und Optimierung – zu unterstützen, ist das Ziel des Digital Twin Labs des MCI. Gefördert vom Land Tirol sollen dort Kompetenzen im Bereich der sogenannten Gesamtmaschinensimulation auf- und ausgebaut werden und in die Tiroler Wirtschaft einfließen.


TECHNOLOGIE XXXXXXX & FORSCHUNG

KLARE ERGEBNISSE Die Digitalisierung macht vor keiner Branche halt – schon gar nicht vor den Bereichen, in denen sie völlig neue Kommunikationswege zu den Kunden eröffnet. So ist der Tourismus seit Jahren an der vordersten Front des Geschehens. Und dennoch fällt es gerade kleinen Betrieben und Regionen schwer, der Herausforderungen Herr zu werden. Den Umgang mit sozialen Medien und Bewertungsplattformen, um die Customer Experience von Touristen zu gestalten, hat die Digital-Marketing-Studentin Julia Stroll in ihrer Masterarbeit an der FH Kufstein Tirol speziell im Hinblick auf alpine Destinationen erforscht. Dabei hat sie sich nicht auf graue Theorie beschränkt, sondern einen Katalog konkreter Handlungsempfehlungen für die Tiroler Wirtschaft entwickelt. Für ihre Arbeit wurde Stroll mit dem Wissenschaftspreis der Tiroler Wirtschaftskammer ausgezeichnet.

DIGITALE PRÄZISION Während die Technologie bei minimalinvasiven und mikrochirurgischen Techniken große Fortschritte gemacht hat, verlassen sich Chirurgen bis heute auf analoge Operationsmikroskope, deren Prinzip seit den 1950er Jahren unverändert geblieben ist. Das soll sich jetzt ändern – zumindest, wenn es nach dem Innsbrucker Unternehmen BHS Technologies geht. Kommendes Jahr will das Team rund um Gründer Markus Hütter und Michael Santek die erste, marktreife Version eines digitalen Visiualisierungssystems für Chirurgen anbieten. Anstatt klobiger, fix montierter Mikroskope sollen mit 3D-Kameras festgehaltene Detailaufnahmen den Operateuren in Echtzeit via VR-Brillen eingeblendet werden und Operationen noch besser, einfacher und sicherer machen.

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PSYCHOLOGIE & MEDIZIN

Politik und Populismus In den letzten Jahren haben populistische Bewegungen und Politiker weltweit einen enormen Aufschwung erlebt. André Haller erforscht an der FH Kufstein unter anderem politische Kommunikation und erklärt, wie diese im Populismus aussieht und funktioniert. Das Interview führte Lisa Schwarzenauer.

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© FRANZ OSS

01 André Haller ist nach Stationen in Passau und Bamberg seit Oktober 2019 als Hochschullehrer für Marketing & Kommunikationsmanagement an der FH Kufstein tätig. In seiner Forschung setzt er sich u. a. mit Kampagnen-, Skandalund Krisenkommunikation in der Politik sowie mit der digitalen Transformation von Wahlkampagnen auseinander.

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PSYCHOLOGIE & MEDIZIN

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err Haller, was bringt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit politischer Kommunikation? André Haller: Für Parteien, Politiker und NGOs sind die Ergebnisse interessant, um Kampagnen bewerten und verbessern zu können. Viel wichtiger ist aber natürlich die gesellschaftliche Ebene: Ein gewisses Grundwissen über populistische Kommunikation und politische Kampagnen ist grundlegend für jeden Bürger, egal wo in Europa, um zu verstehen, wie da gearbeitet wird, welche Technologien da verwendet und welche Daten eventuell missbraucht werden und letztendlich auch, wie beeinflussbar wir sind.

Besteht bei dieser Taktik nicht die Gefahr, dass man irgendwann den Bogen überspannt? Auf jeden Fall. Zu viel Skandalisierung kann dazu führen, dass die Leute sagen, das sind wir eh schon gewohnt – wenn man es übertreibt, wird das als Wahlkampftrick oder Gag wahrgenommen, man sieht dann eine Art Abnutzungseffekt. Auch bei der AfD war das gut zu beobachten; mittlerweile wird in Medien schon oft interpretiert, dass bestimmte Aussagen und Plakate wohl nur gemacht wurden und werden, um zum Beispiel ins Fernsehen zu kommen. Man ist sich dessen schon bewusst. Warum funktionieren populistische Bewegungen und Politiker wie Donald Trump und Boris Johnson momentan trotzdem so gut? Wenn man diese beiden konkreten Beispiele hernimmt, sieht man, dass vieles hausgemacht ist. Trumps Gegenkandidatin war Hillary Clinton, die seit Jahrzehnten Teil des Washingtoner Polit-Establishments ist, und viele Wähler wollten diese Verkrustung der politischen Strukturen nicht mehr. Gleichzeitig konnten die Demokraten keine konkrete Kernbotschaft kommunizieren, während bei Trump „Make America Great Again“ stellvertretend für das komplette Programm stand.

Woran erkennt man populistische Kommunikation? Populistische Kommunikation besteht aus drei Teilen: Man kommuniziert explizit gegen Eliten wie Regierungen, aber auch Leitmedien und andere Einrichtungen, die als gesellschaftliche Eliten gelten. Populistisch wird diese an sich völlig normale Kritik, wenn man eine scharfe Abgrenzung zwischen dem Volk und den Eliten – wenn man sagt: „Die gehören nicht zu uns, die wollen euch etwas Böses.“ Der dritte Bestandteil neben der Elitenkritik und dem Volksbezug ist die Exklusion von Minderheiten. Oft wird in populistischen Narrativen dann behauptet, dass Eliten Minderheiten bevorzugen zu Ungunsten der anderen Bevölkerung. Welche Strategien wenden Populisten konkret an? Man sieht eigentlich bei jedem populistischen Akteur immer wieder Skandale und Aufreger, und ein Teil davon ist ganz bewusst erzeugt, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich habe das in wissenschaftlichen Arbeiten als „intendierte Selbstskandalisierung“ bezeichnet. Das kann natürlich von jemandem, der sich selbst als Gegner und Gehasster der Eliten darstellt, sehr glaubwürdig verkörpert werden. Wenn ein Donald Trump Witze über Mexikaner macht und sagt, er lehnt sich damit nur gegen die Political Correctness der Eliten auf, können Anhänger ihm das abkaufen.

Was ist Populismus? Populismus ist eine politische (Kommunikations-) Strategie, die eine harte und unüberwindbare Grenze zwischen der Bevölkerung – oder Teilen der Bevölkerung – und einer gesellschaftlichen Elite behauptet. In einer extremen Variante kommt noch eine Exklusion von Minderheiten, beispielsweise von Migranten oder Langzeitarbeitslosen, hinzu, so Haller: „Es wird postuliert, dass Eliten aus Politik, Medien und anderen Bereichen dem ‚Volk‘ feindlich gegenüberstehen und Minderheiten bevorzugen.“

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PSYCHOLOGIE & MEDIZIN

André Haller

„Es gibt die These, dass der Rechtspopulismus gerade so erfolgreich ist, weil man Probleme jahrelang nicht oder nicht deutlich genug besprochen hat, und da ist glaube ich auch was dran.“

tun hat, weil eben auch Presseberichterstattung Populismus vorantreiben kann. Wenn eine Boulevardzeitung sehr reißerisch über Kriminalität schreibt, kann das dazu führen, dass das eine gewisse Stimmung erzeugt bei bestimmten Lesern, die dann denken und sagen, dass da ja wirklich ein Problem besteht. Man sieht, dass es vielleicht auch eine Strömung in der Bevölkerung gibt, die irgendwie aufgenommen werden will, und wenn es die größeren Parteien nicht schaffen, dann etablieren sich eben andere Strukturen. Wir haben schon länger in allen anderen europäischen Nationen starke oder weniger starke rechtspopulistische Parteien. Deutschland ist da mit der AfD sehr spät dran und hat sich in den letzten Jahren – so hart das klingt – im europäischen Kontext eigentlich nur normalisiert.

In Großbritannien war das ähnlich. Bei der Brexit-Kampagne haben die Brexit-Befürworter vor allem in den strukturschwächeren ländlichen Gegenden Werbung gemacht, die dann auch überwiegend für den Brexit gestimmt haben. Es ist schon interessant, dass es langjährige PolitProfis sowohl in den USA als auch in Großbritannien nicht geschafft haben, in die entscheidenden Staaten oder Bezirke reinzuschauen und zu analysieren, da genauer reinzuhören und authentische Personen zu finden, die glaubwürdig die Interessen der Bürger vertreten können.

Wie geht man am besten mit diesem politischen Trend um? Ich glaube, dass eine Grundstrategie gegen Populismus darin besteht, gute Politik zu machen. Und das heißt nicht mal, dass man gleich alle Probleme lösen muss – vielen Menschen ist schon geholfen, wenn man einfach mit ihnen spricht und ihnen zuhört, ihrer Stimme öffentliches Gehör verschafft. Wenn man nicht nur beschwichtigt und Probleme runterspielt oder bestimmte Gegenden ignoriert, weil man da nicht viele Wähler hat. Es gibt die These in Deutschland, dass der Rechtspopulismus gerade so erfolgreich ist, weil man eben solche Probleme jahrelang nicht oder nicht deutlich genug besprochen hat, und da ist glaube ich auch was dran. Wenn beispielsweise nach der Eurorettung eben keine fundamentale Debatte losgeht, wenn das nicht besprochen und diskutiert wird, gibt es natürlich Menschen, die enttäuscht sind und ihrem Ärger freien Lauf lassen.

Glauben Sie, dass sich an dieser Entwicklung bald etwas ändern wird? Es ist nicht in Stein gemeißelt, wie erfolgreich eine Partei oder ein politischer Akteur ist. Die FPÖ war beispielsweise viele Jahre sehr schwach, dann sehr stark, bevor sie wieder eingebrochen ist. Diese Bewegungen gibt es überall, je nach Performance der Politiker und auch je nachdem, welche Problemfelder gerade bestehen. Gleichzeitig muss man natürlich aufpassen, weil gerade Rechtspopulisten sehr flexibel sind. Die AfD packt gerade das Sozialthema an, weil die Migrationsgeschichte abflaut. Da geht es um Sozialpopulismus und man sagt, die Eliten nehmen euch Geld weg mit sogenannten Zwangsgebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen etc. Das wird alles in einen Topf geworfen und man gibt sich als angeblichen Ritter, der den Menschen etwas Gutes will.

Ist Populismus im Moment wirklich viel präsenter und erfolgreicher als noch vor ein paar Jahren, oder hat sich vielleicht einfach unsere Wahrnehmung verändert? Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass es auch mit Wahrnehmung zu

Danke für das Gespräch. 20


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Von Likes und Shares Digitale Medien haben die Kommunikationslandschaft in den letzten Jahren drastisch verändert. Raffael Heiss beschäftigt sich am MCI damit, was das für die politische Kommunikation bedeutet und wie Social Media als Tool für Politiker funktioniert. Von Lisa Schwarzenauer

wissenschaftler Raffael Heiss, der am MCI das Verhalten politischer Akteure in den sozialen Medien untersucht.

Raffael Heiss hat Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft studiert und forscht am Center for Social & Health Innovation des MCI in Innsbruck. Für seine Dissertation zum Thema „Politische Akteure auf Social Media: Inhalt, Selektion und Effekte“ wurde er 2019 mit dem Euregio JungfroscherInnenpreis und dem Sowi-Doc. Award der Universität Wien ausgezeichnet.

Ungenutztes Potenzial Konkret schauen sich Heiss und seine Kollegen an, wie Politiker über Social Media kommunizieren, welche Inhalte sie posten und welche Effekte diese auf Bürger haben. Dazu verwenden sie neben Umfragen und Experimenten vor allem Inhaltsanalysen, um herauszufinden, welche Arten von Posts besonders gut funktionieren. Hier hat sich gezeigt, dass neben Faktoren wie Humor, Emotion und Negativität auch komplexere, mit Argumenten und Fakten bereicherte Posts mit längeren Texten überdurchschnittlich häufig gelikt, geteilt und kommentiert werden – das scheint den meisten Politikern allerdings nicht wirklich bewusst zu sein: „Politiker haben sehr viel Negatives und Emotionales gepostet, aber nur in rund zwei Prozent aller Posts, die wir analysiert haben, wurden auch faktenbasierte Argumente vermittelt“, berichtet Heiss.

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gal, ob sie direkt über politische Akteure oder über die Medien läuft: Politische Kommunikation bestimmt, was Menschen von Politik mitbekommen, und beeinflusst damit auch, ob und wie Bürger politisch partizipieren. Während politische Information lange Zeit hauptsächlich über traditionelle Medien wie Zeitungen, Fernseher und später auch Webseiten erfolgte, nimmt Social Media hier inzwischen eine immer wichtigere Rolle ein: „Gerade für Jugendliche ist Social Media heute bereits der wichtigste Informationskanal. Natürlich sind auch die klassischen Medienkanäle noch relevant, aber der digitale Bereich ist die Zukunft“, sagt Politik- und Kommunikations-

Polarisierte Gesellschaft Abgesehen von diesem nicht ausgeschöpften inhaltlichen Potenzial habe sich auch gezeigt, dass 22


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Welche Plattformen sind wichtig?

© ANTON KHODAKOVSKIY/SHUTTERSTOCK.COM

Obwohl die Nutzerzahlen von Facebook zurückgehen, erreicht man damit in Österreich mit fast vier Millionen Nutzern immer noch die meisten Menschen. Zunehmend wichtig für politische Kommunikation werden die Video- und Bildportale YouTube und Instagram, die vor allem bei Jugendlichen beliebt sind.

01 Manche Politiker nutzen Social Media bereits exzessiv, um Ideen und Ansichten zu teilen – Inhalte bleiben dabei aber meist auf der Strecke.

eben meist nur sehr einseitig und oberflächlich informiert wird. „In den klassischen Medien erfährt man auch, was Politiker sagen, aber ihre Aussagen werden von Journalisten selektiert, aufbereitet und interpretiert. Diese Selektions- und Kontextualisierungsleistung fehlt auf Social Media komplett.“

die politischen Ansichten und Einstellungen von Menschen dadurch verstärkt werden, dass sie auf Social Media genau den Politikern folgen, die ähnliche Ansichten vertreten. Das berge ein großes Polarisierungspotenzial, erklärt der KommunikatiRaffael Heiss

Politische Zukunft Besonderen Handlungsbedarf sieht Heiss im Zusammenhang mit Jugendlichen. „Wenn die ersten Inhalte, mit denen sie in den sozialen Medien konfrontiert werden, rechtspopulistische oder sogar extremistische Inhalte sind, die häufig besonders gepusht werden, besteht natürlich die Gefahr, dass sie auf Basis dieser Inhalte politisch sozialisiert werden“, erklärt er. Wenn man das verhindern wolle, müsse man mehr und früh in politische Bildung investieren, die Qualität des politischen Angebots auf Social Media verbessern und die Inhalte thematisch mehr auf den politischen Nachwuchs zuschneiden: „Jugendliche sind extrem präsent auf Social Media, gehören teilweise schon zum Elektorat und werden die Zukunft unserer Demokratie mitbestimmen. Da liegt es auf der Hand, dass man sie möglichst früh mit Inhalten abholen sollte, nicht nur mit Emotionen und Humor.“

„ Politiker vermitteln natürlich ihre eigene Sicht – und je weiter ein Politiker am linken oder rechten Rand verortet ist, umso stärker wird er seine Positionen wahrscheinlich auch vertreten.“ onswissenschaftler: „Politiker vermitteln natürlich ihre eigene Sicht, ihre eigenen Perspektiven und Ideologien – und je weiter ein Politiker am linken oder rechten Rand verortet ist, umso stärker wird er seine Positionen wahrscheinlich auch vertreten.“ Das sei ein Problem, weil man den Inhalten auf Social Media ungefiltert ausgesetzt ist und dort 23


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Dem Pilz auf der Spur An der Innsbrucker MedUni erforschen Hubertus Haas und sein Team, wie Pilze funktionieren. Ihre Grundlagenforschung dient als Fundament, und könnte bald helfen, Pilzinfektionen auf die Schliche zu kommen – und sie eventuell sogar besser zu therapieren.

© MEDIZINISCHE UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Von Daniel Feichtner

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Hubertus Haas studierte Mikrobiologie in Innsbruck. Seine Diplomarbeit, die in Kooperation mit Sandoz in Kundl entstand, befasste sich mit Penicillin – einem der vermutlich bekanntesten Medikamente, das wir Pilzen zu verdanken haben. Diesem Bereich ist er auch in seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Medizinischen Universität Innsbruck bis heute treu geblieben, wo er die grundlegenden molekularbiologischen Abläufe in Pilzen erforscht.

I

n der Regel sind es drei Arten von Organismen, die Krankheiten verursachen: Viren, Bakterien und, weit abgeschlagen an dritter Stelle, Pilze. Sie sind deutlich seltener für schwere Erkrankungen verantwortlich – doch wenn es geschieht, ist guter Rat oft teuer. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein gesunder Mensch eine Pilzinfektion entwickelt, die über ein dermatologisches Problem wie Fußpilz hinausgeht, ist sehr gering“, bestätigt Hubertus Haas. „Pilze sind opportunistische Erreger. Sie lösen nur unter ganz bestimmten Bedingungen schwere Erkrankungen aus. Dann können solche Infektionen allerdings sehr gefährlich werden.“ Haas leitet eine Forschungsgruppe am Institut für Molekularbiologie der Medizinischen Universität Innsbruck und beschäftigt sich seit mittlerweile mehr als drei Jahrzehnten mit Pilzen. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vielen komplexen Mechanismen in ihrem Inneren zu entschlüsseln.

Gut versteckt Ist das einmal geschehen und ein Pilz hat begonnen, sich im Körper auszubreiten, müssen gleich mehrere Hürden überwunden werden, um ihn zu bekämpfen. Schon zu erkennen, womit man es zu tun hat, kann ein Problem sein. Denn Pilzinfektionen sind schwer nachzuweisen. Sie verbreiten sich zwar wie viele Erreger über die Blutbahn, aber anders als Bakterien und Viren setzt sich ein Pilz als gesamter Organismus an einem neuen Infektionsherd fest und wächst dort. So hinterlässt er nur wenige Spuren, die mit einem Bluttest nachweisbar wären. „Es gibt zwar Marker im Blut“, meint Haas, „diese sind aber sehr unzuverlässig und oft nur zu bestimmten Abschnitten im Lebenszyklus eines Pilzes in ausreichender Menge vorhanden.“

Risikogruppen Pilzinfektionen dringen deswegen so selten in unseren Körper vor, weil sich unser Immunsystem in der Regel hervorragend gegen die Eindringlinge zur Wehr setzen kann. Doch kommt es zu einer ausgeprägten Schwächung unserer körpereigenen Abwehr, öffnet das Tür und Tor. Betroffen sind vor allem Menschen mit Immunschwächeerkrankungen wie HIV, Patienten, die gerade eine Chemotherapie durchlaufen und Personen, deren Immunsystem nach Transplantationen künstlich geschwächt werden muss, um Abstoßungsreaktionen zu unterbinden. „Dann kann eine Pilzinfektion systemisch werden, innere Organe befallen und sehr schnell lebensbedrohlich sein“, sagt Haas.

Verwandtschafts-Problem Um einen Krankheitserreger zu bekämpfen, müssen Vorgänge in dessen Stoffwechsel so gestört werden, dass er entweder direkt zerstört oder er für unser Immunsystem angreifbar wird. Zugleich darf dieser Angriff seinem Wirt aber nur so wenig Schaden wie möglich zufügen. „Anders als Bakterien und Viren gehören Pilze zur biologischen Klasse der Eukaryonten – gleich wie Menschen“, erklärt Haas. Damit sind sie nicht nur komplexer, sondern genetisch auch mit uns deutlich näher verwandt als mit anderen Krankheitserregern. „Und das bedeutet, dass ihr Organismus viele sehr ähnliche Mechanismen nutzt, wie unser Körper.“

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Siderophore sind relativ kleine Moleküle. In ihrer Mitte befinden sich sechs Sauerstoffatome, die – fast wie eine molekulare Greifzange – in der Lage sind, ein Eisen-Atom zu binden und so festzuhalten. Ist ein Siderophor „beladen“, nimmt ihn der Pilz wieder auf und absorbiert so das Eisen, das er seinem Wirt entzogen hat.

0 NH R Eisen-Träger Selbst wenn man den Gegner kennt, braucht es das richtige Medikament, um ihm Herr zu werden. Auf ihrer Suche nach bislang noch ungenutzten Lücken im Panzer der Pilze haben sich Haas und sein Team unter anderem auf den Eisenstoffwechsel eingeschossen. „Eisen ist für Menschen gleich wie für Pilze ein essenzielles Element“, erklärt der Molekularbiologe. „Das bedeutet, dass ihr Organismus es nicht selbst herstellen kann, sondern es von außen beziehen muss.“ Menschen können das über ihre Nahrung, während Pilze es ihrem Wirt entziehen müssen – auf eine völlig andere Weise, als menschliche Zellen. Und genau das macht den Eisenstoffwechsel interessant. Pilze bilden sogenannte Siderophore. Diese kleinen Moleküle, die ihren Namen vom griechischen „Sideros“ – „Eisen“ und „Phor“ – „Träger“ haben, werden von den Pilzzellen in ihre Umgebung abgegeben. Wie ihr Name schon verrät, können Siderophore jeweils ein Eisen-Atom speichern, das sie im Umfeld des Pilzes finden. Ist das Molekül „beladen“, wird es von den Pilzzellen wieder absorbiert – und mit ihnen auch das Eisen-Atom.

Beschränkte Mittel Geringere Angriffsfläche bedeutet weniger Medikamenten-Auswahl, um Pilze zu bekämpfen. Aktuell kennen wir drei Wirkstoffgruppen und deren Derivate, die ihnen gefährlich werden. Um gegen Bakterien ins Feld zu ziehen, steht uns mit sieben Antibiotika-Gruppen, aus denen mehr als hundert Medikamente hervorgehen, ein mehrfach größeres Arsenal zur Verfügung. „Erschwerend kommt dazu, dass Pilze auch ein Problem in der Landwirtschaft sind“, sagt Haas. „Eine der drei Wirkstoffgruppen kommt großflächig im Getreideanbau zum Einsatz. Das führt dazu, dass sich bereits deutliche Resistenzen gegen diese Medikamente gebildet haben.“

Ratespiel Die ersten Symptome einer Pilzinfektion treten oft spät und manchmal sogar zu spät auf. Risikopatienten erhalten deswegen oft präventiv sogenannte Antimykotika – Medikamente, die gegen Pilze wirksam sind. Ähnlich wie bei Antibiotika hilft aber nicht jeder Wirkstoff gegen jeden Pilz. Stattdessen müssen die Mediziner im Vorfeld entscheiden, welcher Erreger das größte Risiko darstellt und auf Verdacht gegen diesen therapieren. „Die teuren und mitunter mit Nebenwirkungen verbundenen Medikamente können also unter Umständen nicht nur umsonst gegeben werden“, meint Haas. „Es kann sogar sein, dass es trotzdem einem anderen Pilz gelingt, sich festzusetzen.“

Ausgenutzt Dieser Mechanismus ist allerdings nicht perfekt. Siderophore können auch andere Atome binden – nicht zuletzt das Metall Gallium, wie die Forscher in Zusammenarbeit mit dem Radiopharmazeuten Clemens Decristoforo entdeckt haben. „Von diesem existiert auch die radioaktive Variante Gallium 68“, erklärt Haas. „Dieses Isotop hat eine Halbwertszeit von nur 68 Minuten. Und weil es so schnell zerfällt, ist es hervorragend geeignet, um im Körper mit bildgebenden Verfahren wie der Positronen-EmissionsTomographie, dem PET-Scan, sichtbar gemacht zu werden.“ 26


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01 Im Scan des MausModells waren die radioaktiven Siderophore in der infizierten Lunge (A) gut zu erkennen. Noch deutlicher markiert waren allerdings die Nieren (B) und die Blase (C). So entdeckten die Forscher, dass Siderophore über den Harn ausgeschieden werden – in dem man sie auch nachweisen kann.

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Überraschendes Resultat In einem Maus-Modell gelang das bereits hervorragend: Die Forscher „fütterten“ den Pilz Aspergillus fumigatus, der auch bei Menschen Lungen befällt und zu schwersten Erkrankungen führen kann, mit Gallium 68 markierten Siderophoren. Auf kombinierten Computertomographie- und PET-Scans waren diese sofort leuchtend sichtbar – zur Überraschung von Haas aber nicht nur dort, wo die Infektion war: „Beim näheren Hinsehen war das Gallium 68 in den infizierten Lungen gut erkennbar“, beschreibt er. Noch deutlich sichtbarer war es aber in der Blase und den Nieren, die nicht vom Pilz befallen waren. „Das hat uns gezeigt, dass der Organismus des Wirts die Siderophore einzig und alleine mit dem Harn ausscheidet“.

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Ergebnisse an die Anwendung weiterreichen können“, sagt Haas. Denn das Entwickeln eines in der Praxis einsetzbaren Tests überlässt der Molekularbiologe lieber Unternehmen, die Erfahrung damit haben. „Wir bleiben der Grundlagenforschung treu. Und in unserem Bereich gibt es noch viel zu entdecken und zu entschlüsseln.“

Verräterische Spur Auf diesem Ansatz aufbauend, ist es den MoleErst der Anfang kularbiologen in ZusamAlleine der EisenstoffHubertus Haas, Molekularbiologe menarbeit mit Chemikern wechsel von Pilzen hat von der MedUni und dabei noch viel Poten„Wir bleiben der Grund­ Ärzten aus Graz gelunzial. Versuche haben gen, die Eisen tragenden gezeigt, wie empfindlagenforschung treu. Und Moleküle im Harn nachlich die Organismen auf in unserem Bereich gibt es zuweisen, – und nicht Eisen-Mangel aber auch nur, ob ihr Vorhanden-Überschuss reagieren. noch viel zu entdecken und sein, sondern auch ihre Langfristig könnte Haas’ zu entschlüsseln.“ Menge, woraus sich auch Forschung also mehr als auf die Schwere einer Innur einen Bio-Marker fektion schließen lässt. zum Nachweis von InErste Vergleiche haben bewiesen, dass Sideropho- fektionen hervorbringen. „Den Eisenstoffwechsel re auch im Urin von Patienten messbar sind, bei von Pilzen im Labor zu beeinträchtigen, gelingt uns denen andere Biomarker (noch) nicht eindeutig bereits hervorragend“, sagt er. „Von einer darauf nachgewiesen werden konnten – eine Erkenntnis, basierenden Therapie sind wir natürlich noch weit die in der Therapie Leben retten könnte. „Noch entfernt. Aber einen potenziellen Angriffspunkt fehlt uns die klinische Studie, bevor wir unsere haben wir damit im Visier.“ 27

© FC MILOS PETRIK & CLEMENS DECRISTOFORO

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© INNSBRUCKER UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR RADIOLOGIE

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Neuer Blick ins Herz Eine neue, schonende Untersuchungsmethode kann es künftig ermöglichen, das Risiko für Herzerkrankungen bei Gichtpatienten besser und früher zu erkennen. Das zeigt eine aktuelle Studie der Innsbrucker Universitätsklinik für Radiologie. Von Eva Schwienbacher

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er Blick ins Körperinnere mit Bildgebungstechniken wie Röntgen, Ultraschall oder Computertomografie (CT) ist in der Medizin schon lange Standard. Die Techniken helfen bei der Diagnose bestimmter Krankheiten, der Feststellung ihres Schweregrads, der Überwachung von Patienten und von Therapieerfolgen. Die Bildgebung kann aber auch eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, Näheres über eine Krankheit herauszufinden. Das zeigte sich auch in einer Studie der Innsbrucker Universitätsklinik für Radiologie unter der Leitung von Andrea Sabine

Klauser. Dabei überprüften Mediziner die Bedeutung der sogenannten Dual-Energy-Computertomographie (DECT), einer modernen Bildgebungstechnik zur Untersuchung der Herzkranzgefäße von Patienten mit Gicht (siehe Factbox). Exakte Bildgebung Die Radiologin Klauser ist eigentlich auf die Bildgebung bei Muskeln, Sehnen und Gelenke spezialisiert. Seit Jahren erforscht sie erfolgreich die für die Gicht typischen Harnsäureablagerungen in Gelenken mit der DECT. Diese moderne Bild28


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01 Aufnahmen des Herzkranzgefäßes mit zwei verschiedenen Methoden: Auf dem DECT-Bild (unten) sind Harnsäureablagerungen deutlich an der farblichen Darstellung in Grün zu erkennen. Auf dem CT-Bild ist eine so genaue Unterscheidung nicht möglich.

Andrea Sabine Klauser

„Die Stärke der DECT liegt darin, dass sie Harnsäureablagerungen im Bild farblich darstellt. So sind sie klar zu erkennen und von ähnlichen Ablagerungen wie Kalk zu unterscheiden.“

der DECT liegt darin, dass sie Harnsäureablagerungen im Bild farblich darstellt. So sind sie klar zu erkennen und von ähnlichen Ablagerungen wie Kalk zu unterscheiden“, erklärt Klauser. Mit der Technik gelang es der Radiologin, viele unklare Fälle bei Gichtpatienten, deren Gelenke betroffen waren, aufzuklären. Deshalb stellte sie sich die Frage, welches Potenzial diese Bildgebungstechnik für die Untersuchung der Herzkranzgefäße von Gichtpatienten hat. Gicht gilt nämlich als kardiovaskulärer Risikofaktor, also für Krankheiten, die das Herz-Kreislauf-System betreffen. Bislang war der Nachweis von Harnsäurekristallen in Geweben allerdings nur durch die oft schmerzhafte Entnahme von Gewebeproben möglich.

Andrea Sabine Klauser ist Radiologin und Spezialistin in den Bereichen Sonographie des Bewegungsapparates und Bildgebung des Muskelskelett-Systems. Sie leitet den Bereich Rheuma- und Sportbildgebung an der Innsbrucker Universitätsklinik für Radiologie und forscht unter anderem auf dem Gebiet der Muskelskelett-Bildgebung.

Wegweisende Erkenntnisse In Zusammenarbeit mit der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin testete Klauser von Jänner 2017 bis November 2018, ob sich mittels DECT auch Harnsäureablagerungen in Herzkranzgefäßen von Gichtpatienten lokalisieren lassen. In der Studie wurden Patienten mit und ohne Gicht mit der DECT untersucht und die Resultate miteinander verglichen. Um diagnostische Fehler auszuschließen, wurden die Ergebnisse außerdem mikroskopisch überprüft. Die Studienergebnisse fasst Klauser so zusammen: „Wir konnten in der Studie erstmals zeigen,

gebungstechnik funktioniert wie die Computertomographie und beruht auf der Abschwächung von Röntgenstrahlen durch verschiedene Körpergewebearten. Allerdings arbeitet die Technik mit zwei verschiedenen Strahlungsenergien. Das ermöglicht eine genauere Gewebedifferenzierung. In vielen Bereichen ist die Technologie bereits Standard. Etablierte Methode, neues Gebiet Um Gicht zu diagnostizieren, sind Ärzte auf der Suche nach Harnsäureablagerungen im Körper, die typisch für die Erkrankung sind. „Die Stärke 29


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© INNSBRUCKER UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR RADIOLOGIE (2)

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Gicht: Krankheit mit Geschichte und offenen Fragen Die Gicht ist ein sehr altes Leiden. „Früher war es die Krankheit der Könige und Päpste, ob deren üppigen Gelage“, erklärt Andrea Sabine Klauser. Etwa jeder dritte Mann und drei Prozent der Frauen weisen erhöhte Harnsäurewerte auf, bei jedem zehnten Mann mit gesteigerten Werten entwickelt sich im Laufe des Lebens eine Gicht. Frauen sind sehr viel seltener betroffen. Wenig Bewegung kombiniert mit einem hohen Alkohol- und Fleischkonsum, aber auch eine extrem eiweißreiche Ernährung, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Nierenerkrankungen sowie genetische Faktoren können Auslöser einer Gicht sein.

02 DECT-Aufnahme einer Hand eines Gichtpatienten: Gichtablagerungen werden grün dargestellt, Kalkablagerungen blau/braun.

Die Krankheit entsteht, wenn sich zu viel Harnsäure im Blut befindet. Dadurch können Gichtkristalle entstehen, die sich in Gelenken, Sehnen und Geweben ablagern und teils schmerzhafte Entzündungen hervorrufen. Gicht gilt als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, also Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems. Um die Krankheit besser erkennen und behandeln zu können, wird weltweit an Diagnose- und Therapieverfahren geforscht.

dass DECT die Erkennung vaskulärer Harnsäureablagerungen ermöglicht, die signifikant häufiger in Gichtpatienten gefunden wurden.“ Ein weiterer Vorteil dieser Bildgebungstechnik ist, dass sie ohne Kontrastmittel auskommt. Das ist vor allem bei Patienten mit Nierenerkrankungen oder Unverträglichkeiten von großer Bedeutung. Der einzige Nebeneffekt – die geringe Strahlenbelastung – werde laut Klauser durch die Dichte und Genauigkeit der Informationen wettgemacht.

Diagnose und das Management solcher Patienten. Man sei sich der Vorteile bewusst, kenne aber auch Nachteile. Bis die Bildgebungstechnik routinemäßig eingesetzt wird, müssen noch viele Fragen geklärt werden. „Der Schlüssel zum Erfolg von DECT liegt meiner Meinung nach in der Interdisziplinarität“, ist die Medizinerin überzeugt. Sie will auch in Zukunft an diesem Thema forschen und weitere interdisziplinäre Studien durchführen.

Weltweit diskutierte Methode Weltweit laufen Klauser zufolge aktuell Diskussionen über den Einsatz von DECT bei Gichtpatienten mit Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Denn die neue Methode besitze großes Potenzial für die 30


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Bewerten lernen Viele Fortbildungen im Gesundheitswesen wurden bisher nicht hinlänglich evaluiert. Nun arbeiten Studierende der fh gesundheit in Innsbruck Methoden heraus, die das effektiv ermöglichen sollen. Dadurch kann die Patientensicherheit beträchtlich gesteigert werden. Von Haris Kovacevic

P Eva Jabinger kommt ursprünglich aus der biomedizinischen Analytik. Bevor sie das Studium des Prozessund Qualitätsmanagements anging, arbeitete sie 13 Jahre in einem Ordensspital in Oberösterreich. Ab 2012 baute sie die Stabstelle für Qualitäts- und Prozessmanagement der kollegialen Führung des LKH Innsbruck auf und studierte nebenbei Pädagogik für Gesundheitsberufe. Seit Jänner 2017 leitet sie den Master-Studiengang in Qualitätund Prozessmanagement im Gesundheitswesen der fhg und seit März 2019 auch den Master of Business and Administration im Gesundheitswesen – Letzteres in Kooperation mit der UMIT.

rozess- und Qualitätsmanagement bezeichnet alle Maßnahmen, die Arbeitsabläufe erleichtern, beschleunigen, straffen und sie damit effektiver machen. Der Ausdruck kommt aus der Wirtschaft, hat aber längst auch in anderen Sparten Einzug gehalten – mit leicht adaptierter Bedeutung. So versteht man in Gesundheitsberufen unter dem Terminus „alle Schritte, die zur Steigerung der Patientensicherheit führen“, meint Eva Jabinger, Leiterin des Master-Studiengangs für Qualitäts- und Prozessmanagement im Gesundheitswesen an der fh gesundheit in Innsbruck. Die Definition geht aber noch weiter: Um eine hochwertige Versorgung in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen zu gewährleisten, reiche es nicht, tägliche Abläufe und Handgriffe zu beherrschen. „Ein wichtiger Aspekt des Qualitätsmanagements ist auch das Risikomanagement“, erläutert Jabinger. Dies beinhaltet vor allem die Antwort auf die Frage, wo präventiv Initiativen erfolgen können, um unerwünschten Ereignissen vorzubeugen. Schwierig zu bewerten Fehlleistungen sind nämlich im Gesundheitswesen nicht auszumerzen, doch gibt es Maßnahmen, die dabei helfen, 32

sie bestmöglich zu vermeiden. „Ein Fehler passiert nicht aus einem einzigen Grund, sondern aus einer Verkettung von Umständen“, erklärt Jabinger. Setze man genügend Kontrollschranken bei den Zwischenschritten der Arbeitsabläufe ein, nehmen die Fehler auch merklich ab. Dies kostet aber Zeit. Viel effektiver können Präventivmaßnahmen wie Fort- und Weiterbildungen wirken, bei denen die Kursteilnehmer zum Beispiel Gelegenheit haben, Abläufe zu üben, die sie nicht tagtäglich ausführen, die aber im Ernstfall Leben retten können. „Reanimationen wären ein typisches Beispiel dafür. Sie kommen selten vor und jeder Handgriff muss dabei passen, da das Leben des Patienten davon abhängt“, meint die Gesundheitswissenschaftlerin. Wie effektiv diese und ähnliche Trainings aber sind, ist schwer zu evaluieren, vor allem im Gesundheitswesen. Vielschichtig 1959 definierte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Donald Kirkpatrick die vier Stufen der effektiven Trainings-Evaluation. Laut dem Amerikaner muss eine Fortbildung auf vier Ebenen bewertet werden, damit ihr Nutzen richtig eingeschätzt werden


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fh gesundheit wir bilden die zukunft

01 Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess bedarf regelmäßiger Maßnahmen, die den Fortschritt stützen.

Die fh gesundheit bietet Ihnen FH-Bachelor-Studiengänge sowie Weiterbildungs- und Spezialisierungsmöglichkeiten für Gesundheitsberufe mit international anerkannten akademischen Abschlüssen. Act

Check

Programm

Plan

PPFH-Bachelor-Studiengänge

Do

Maßnahme Verbesserung 01

Zeit

■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■

Augenoptik* Biomedizinische Analytik Ergotherapie Gebärdensprachdolmetschen* Gesundheits- und Krankenpflege Hebamme Physiotherapie Radiologietechnologie

PPMaster-Programme

■ Ergotherapie und Handlungswissenschaft ■ Ernährungskommunikation ■ Handlungswissenschaft ■ Klinische Diaetologie ■ MBA im Gesundheitswesen ■ Radiological Technologies

kann. Nachdem im ersten Schritt die unmittelbare Reaktion der Kursteilnehmer im Vordergrund steht, wird im zweiten der theoretische und praktische Lernerfolg festgestellt. „Dies kann in Form eines Tests oder einer Praxisübung passieren“, sagt Jabinger, „auch Wochen nach dem Training, damit die Vergessenskurve miteinbezogen wird.“

PPAkademische Lehrgänge ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■

Eva Jabinger

Anästhesiepflege Cancer Nursing Intensivpflege Kinder- und Jugendlichenpflege Kinderintensivpflege OP-Pflege Psychiatrische Gesundheitsund Krankenpflege * vorbehaltlich der Akkreditierung

„Ein Fehler passiert nicht aus einem einzigen Grund, sondern aus einer Verkettung von Umständen.“ Viel schwieriger gestalten sich aber Schritt drei und vier. Bisher fehle hierfür oft der Rahmen, meint die Expertin. Wie soll nämlich zuverlässig festgestellt werden, ob es dem Kursteilnehmer gelingt, das erworbene Wissen in den Arbeitsalltag zu integrieren? Die Selbsteinschätzung der Kursteilnehmer reicht dafür nicht aus, weshalb andere Methoden hinzugezogen werden müssen. Ein Thema, mit dem sich auch eine von der fhg beauftragte Masterarbeit beschäftigte.

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www.fhg-tirol.ac.at


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© GERHARD BERGER

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Die Lücke schließen Ein Team des Masterstudiengangs für Qualitäts- und Prozessmanagement im Gesundheitswesen setzte sich zum Ziel, Instrumentarien zu entwickeln, um die Evaluation auf dritter und vierter Stufe nach Kirkpatrick zu ermöglichen. Dafür arbeiteten die Studierenden mit dem Interprofessionellen Trainings- und Simulationszentrum des AZW zusammen, in dem laufend interprofessionelle Fortbildungen von Medizinern und Pflegern in unterschiedlichen Trainingssettings stattfinden. Ebene 3 kann beispielsweise mit der sogenannten „Hans-Franz-Methode“ evaluiert werden. Hans ist dabei der Kursteilnehmer, der mehrere Kompetenzen erworben haben will, während Franz Kollege und Beobachter ist, der nicht am Kurs teilgenommen hat. Auf diese Weise kann er Hans längere Zeit beobachten und unvorbelastet beurteilen sowie seine Einschätzung präzise dokumentieren. Vertiefend kann Franz evaluieren, wie gut und praxisnah einzelne Kompetenzen erlernt wurden oder wo es noch Verbesserungspotenzial gibt. „Eine festgestellte Lücke kann man im Idealfall auf den Trainingsablauf zurückführen und diese bei einem zukünftigen Training schließen“, erklärt Jabinger. Was dabei rauskommt Auf vierter Ebene soll unter anderem das „Return of Investment“ festgestellt werden. „Vereinfacht gesagt, gilt es zu erfassen, ob die Patientensicherheit, die im Qualitäts- und Prozessmanagement im Gesundheitswesen an oberster Stel-

02 Gerade für Abläufe, die nicht täglich durchgeführt werden, aber Leben retten können, sind Fortbildungen unabdingbar.

le steht, durch das Training gesteigert wurde oder nicht.“ Schon eine Abfrage der Patientenzufriedenheit würde diese Ebene berühren. Eine geringe Fluktuation an einer Station würde auch dafür sprechen, dass sich die Mitarbeiter wohl fühlen, sich ihren Aufgaben gewachsen fühlen, ein angenehmes Arbeitsklima Eva Jabinger

„ Eine festgestellte Lücke kann man im Idealfall auf den Trainingsablauf zurückführen und diese bei einem zukünftigen Training schließen.“ herrscht und dass sie gute Fortbildungsmaßnahmen genießen. Die damit gesteigerte Patientensicherheit spart präventiv Kosten, die in Zukunft angefallen wären, und damit wäre auch dem wirtschaftlichen Aspekt Genüge getan. Gelingt es dem Forschungsteam, die Mechanismen weiterzuentwickeln, könnte das zu einer Steigerung der Qualität von Fortbildungsmaßnahmen im Gesundheitswesen führen und in weiterer Folge zur Erhöhung der Patientensicherheit, die im Gesundheitswesen eine der wesentlichen Säulen darstellt. 34


Besseres Studium, bessere Chancen.

Studium. Chance. Kompetenz.

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Lehre auf höchstem Niveau, international anerkannte Professoren, Gastprofessoren und Lehrende und modernste Infrastruktur bieten ideale Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium. Bachelor-Studien BWL im Gesundheitswesen, Psychologie, Mechatronik, Elektrotechnik, Pflegewissenschaft, Wirtschaft, Sport- und Gesundheitstourismus. Master-Studien Psychologie, Mechatronik, Gesundheitswissenschaften, Public Health, Advanced Nursing Practice, Pflege- und Gesundheitsmanagement, Pflege- und Gesundheitspädagogik, Regions- und Destinationsentwicklung. Universitätslehrgänge Dyskalkulie-Therapeut/in, Legasthenie-Therapeut/in, Führungsaufgaben/ Lehraufgaben in der Gesundheits- und Krankenpflege, Konfliktmanagement und Mediation, Health Information Management. Doktorat-Studien Gesundheitsinformationssysteme, Psychologie, Health Technology Assessment, Management und Ökonomie im Gesundheitswesen, Public Health, Pflegewissenschaft, Technische Wissenschaften, Sportmedizin, Gesundheitstourismus und Freizeitwissenschaften.

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Geteiltes Leid ist halbes Leid Menschen empfinden weniger Schmerz, wenn eine geliebte Person im Raum ist. Diese Erkenntnis konnte eine Studie der Universität UMIT wissenschaftlich belegen. Von Katharina Wildauer

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Stefan Duschek

© SHUTTERSTOCK.COM

„Die Anwesen­ heit des Partners oder der Part­ nerin war vor allem dann mit Schmerzlinde­ rung verbunden, wenn es sich dabei um eine empathische Person handelte.“

01 Die Empathie des Partners kann das eigene Schmerzempfinden messbar mindern.

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chmerz ist ein subjektives Erlebnis: was als schmerzhaft empfunden wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Die Redewendung „geteiltes Leid ist halbes Leid“ kommt dabei nicht von ungefähr, wie man am Institut für Psychologie an der Privatuniversität UMIT in Hall in Tirol in einer Studie nachweisen konnte. „Die rein physische Anwesenheit einer vertrauten Person führt zu geringem Schmerzempfinden“, erklärt der stellvertretende Institutsleiter und Studienautor Stefan Duschek. (Schmerz-)Grenzen setzen Dass Schmerz subjektiv wahrgenommen wird, macht die Schmerzmessung zu einer Herausforderung für die Forschung. „In der Studie haben wir die Schmerzschwelle und Schmerztoleranz durch mechanischen Druck auf einen Fingernagel gemessen“, erzählt Duschek. Die Schmerzschwelle war dann erreicht, wenn der Druck gerade so stark war, dass er als schmerzhaft empfunden wurde. Die Schmerztoleranz war als der maximale Druck definiert, den eine Versuchsperson bereit war zu ertragen. Stille Teilnahme Bisherige Studien zeigten, dass Schmerz besser ertragen wird, wenn eine geliebte Person gut zuredet oder die Hand hält. An der Tiroler Privatuniversität wollte man prüfen, ob dieser Effekt auch durch die reine Anwesenheit eintritt. „Der anwesende Partner hat nicht mit der Versuchsperson kommuniziert oder interagiert“, erläutert der Gesundheitspsychologe. Insgesamt nahmen 48 heterosexuelle Paare an der Studie teil. Bei jeder Versuchsperson wurde die Schmerzempfindlichkeit zunächst alleine, dann im Beisein des Partners oder der Partnerin gemessen. Der anwesende Partner durfte dabei nicht mit der Versuchsperson sprechen oder sie berühren. Zudem schätzte jeder Teilnehmer in einem Fragebogen die eigene Empathie ein.

Empathieträger „Die untersuchten Männer und Frauen zeigten bei der Anwesenheit ihres Partners eine niedrigere Schmerzempfindlichkeit, als wenn sie alleine untersucht wurden“, fasst Stefan Duschek das Ergebnis der Studie zusammen. Besonders auffällig: Die Empathie des anwesenden Partners beeinflusste die Größe des Unterschieds zwischen beiden Bedingungen. Das bedeutet: „Die Anwesenheit des Partners oder der Partnerin war vor allem dann mit Schmerzlinderung verbunden, wenn es sich dabei um eine empathische Person handelte“, sagt der Studienleiter. Das sei insofern interessant, als die Partner während der Untersuchung ihre Empathie nicht offen ausdrücken durften. Stefan Duschek

„Die Schmerzmatrix reagiert stärker, wenn wir traurig oder einsam sind, uns bedroht oder ausgeliefert fühlen.“ Stefan Duschek interpretiert dieses Ergebnis so: „Meine Schmerzen werden durch die physische Anwesenheit meines Partners gelindert, wenn ich mir sicher sein kann, dass er oder sie mich und meine Gefühle versteht.“ Dieser Effekt könne vor allem dann eintreten, wenn man den Partner im Alltag als verständnisvoll und einfühlsam erlebt. Die Auswirkungen der Partnerempathie traten in der Studie bei Frauen und Männer gleichermaßen stark auf. Kopfarbeit Dass Schmerzen situationsbedingt anders erlebt werden, geht auf eine Reihe von miteinander verbundenen Aktivitäten im Gehirn zurück – der sogenann37

Stefan Duschek ist Professor für Gesundheitspsychologie an der Privatuniversität UMIT in Hall in Tirol. In seiner Forschung beschäftigt sich der studierte Psychologe und zertifizierte Psychotherapeut vor allem mit der Psychophysiologie von Herz-KreislaufErkrankungen und chronischen Schmerzen.

ten Schmerzmatrix. Die Aktivität dieser Schmerzmatrix hängt aber nicht nur von der Intensität eines schmerzhaften Reizes, wie dem Druck auf den Fingernagel, ab. Ausschlaggebend seien auch eine Reihe psychischer Faktoren, wie Stefan Duschek erklärt: „Die Schmerzmatrix reagiert stärker, wenn wir traurig oder einsam sind, uns bedroht oder ausgeliefert fühlen.“ Fühlt man sich sicher, unterstützt und geborgen, sind schmerzverarbeitende Aktivtäten im Gehirn weniger ausgeprägt – man empfindet weniger Schmerz. Schmerzfaktoren Künftige Untersuchungen könnten die Auswirkungen anderer Charakteristika von Paarbeziehungen auf das Schmerzempfinden miteinbeziehen – beispielsweise die Zufriedenheit mit der Partnerschaft oder das Verhalten miteinander. „Es könnte unter Umständen bedeutsam für die Schmerzwahrnehmung sein, ob eine Person Bindungsängste hat oder in einer Partnerschaft schnell Vertrauen fasst“, so Duschek. Da die Studie nur gesunde Versuchspersonen untersucht hat, könne von den Ergebnissen noch nicht auf konkrete Implikationen für das Gesundheitswesen geschlossen werden. „Für chronische Schmerzpatienten könnte die Empathie des Partners aber durchaus eine wichtige Rolle spielen“, sagt der Studienleiter. Das müsse aber erst genauer untersucht werden.


MEDIZIN

AUSSERDEM: NEUES ZUM THEMA

PSYCHOLOGIE & MEDIZIN DAHEIM ALT WERDEN Moderne Technologien sind nicht nur für die Jungen da. Sie können auch Senioren dabei unterstützen, so lange wie möglich selbstständig zu Hause zu leben. Wie gut das funktioniert, soll das länderübergreifende Projekt i-evAALution, kurz für „Integrating and Evaluating Active & Assisted Living Solutions“, untersuchen. Ein Team der Universität Innsbruck hat in Zusammenarbeit mit den Johannitern und dem Unternehmen FAWO Produkte, die das ermöglichen sollen, in Haushalten getestet. Im Fokus stand dabei unter anderem ein seniorengerechtes Tablet, das als Terminkalender mit Erinnerungsfunktionen, Fernsteuerung von Smart-HouseFunktionen, als Notruf-Knopf und mehr fungiert. Das Team sucht nun für ein weiteres Jahr Testpersonen, die ein Jahr lang unterschiedliche Technologien kostenlos ausprobieren und ihre Erfahrungswerte beisteuern möchten.

HANDLUNGSBEDARF

© SHUTTERSTOCK.COM (2), UIBK, MCI

Überernährung ist mittlerweile global gesehen ein größeres Problem als Unterernährung. Zu diesem Schluss ist Herbert Tilg, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin I an der Medizinischen Universität Innsbruck, gemeinsam mit Kollegen aus aller Welt gekommen. Besonders dramatisch wirkt sich unser Leben im Überfluss auf die Leber von Patienten aus. Es gebe eine regelrechte Fettleber-Epidemie, die das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall, Darmund Leberkrebs erhöhe, warnt Tilg. Die Expertengruppe appelliert an die Politik und die Nahrungsmittelindustrie, auf die Risiken von Übergewicht aufmerksam zu machen, und hat dafür einen Aktionsplan vorgeschlagen.

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PSYCHOLOGIE & MEDIZIN

OBJEKTIV MESSBAR

Erkrankungen oder Verletzungen des Gehirns und der Wirbelsäule können erhöhten Muskeltonus verursachen, eine höhere Eigenspannung von Muskeln, wie sie bei spastischen Lähmungen auftritt. Wie ausgeprägt das Symptom ist, wird bislang nur festgestellt, indem ein betroffenes Gelenk bewegt und der Widerstand gegen diese Bewegung subjektiv beurteilt wird. Mit einem am Department für Mechatronik des MCI, vom Team von Yeongmi Kim, entwickelten Gerät wird nun an einer objektiven Messmethode gearbeitet. Das Gerät bewegt dabei den Arm des Patienten und misst und dokumentiert den Widerstand. Außerdem können durch Unterstützung der Motoren auch alltägliche Bewegungsabläufe wie das Öffnen einer Tür, das aus eigener Kraft nicht möglich wäre, simuliert und trainiert werden, das Öffnen einer Türe.

ANGSTSCHALTER Von den Informationen, die unser Gehirn jeden Tag verarbeitet, wird nur ein Bruchteil gespeichert. Ausschlaggebend ist vor allem, mit wie viel Emotion die jeweiligen Ereignisse verknüpft sind. Die molekularen Prozesse, die dabei in unserem Gehirn geschehen, haben Enrica Paradiso von der Medizinischen Universität Innsbruck und Sabine Krabbe vom Friedrich Miescher Institut in Basel erforscht. Sie konnten gewissermaßen den Schaltkreis identifizieren, der das Tor zum Abspeichern von negativen Informationen öffnet. Langfristig erhoffen sich die Wissenschaftlerinnen von dieser Erkenntnis neue Ansätze für Therapieverbesserungen bei Angsterkrankungen.

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UMWELT & NACHHALTIGKEIT

Materialschlacht Der Fleischkonsum ist im deutschsprachigen Raum nach wie vor konstant hoch. Verpackt wird fast ausnahmslos in Plastik. Den Einfluss verschiedener Verpackungen auf Fleisch hat die Studie „Qualimeat“ unter der Leitung des MCI näher untersucht.

© AXEL SPRINGER

Von Katharina Wildauer

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UMWELT & NACHHALTIGKEIT

Katrin Bach studierte Biotechnologie und promovierte am Max-Planck-Institut mit dem Schwerpunkt Kulturpflanzenforschung. Sie leitet das Departement für Lebensmitteltechnologie und Ernährung am Management Center Innsbruck.

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ebensmittelverpackungen werden mit zunehmendem Umweltbewusstsein mehr Beachtung geschenkt. Egal wohin man im Supermarkt blickt, Einwegplastik ist fast überall dabei: Plastiksackerl, Vakuumverpackungen, Plastiktrays und Co. Dabei ist Verpackung nicht nur unnützer Abfall, sondern erfüllt zentrale Aufgaben: Sie schützt das Produkt vor Keimen und Schäden und ist für Transport und Logistik wichtig. Welchen Einfluss die Verpackung auf das Lebensmittel hat und wie man bestehende Verpackungslösungen umweltfreundlicher gestalten kann, hat die Studie Qualimeat in einem dreijährigen Forschungsprojekt untersucht.

spezialisiert auf Bio-Verpackung, waren Projektpartner. Das Konsortium leitete Katrin Bach vom Institut für Lebensmitteltechnologie des MCI: „Dass Verpackungen Einfluss auf Lebensmittel haben, ist klar. Aber der Einfluss auf die Qualität des Verpackungsgutes ist noch nicht ausreichend erforscht.“

Katrin Bach

Leistungsstark Die Wahl auf Fleisch als Forschungsobjekt war eine bewusste: Der Fleischkonsum ist nach wie vor konstant hoch, stolze 62 kg konsumieren die Österreicher jährlich. Als eines der verderblichsten Lebensmittel spielt gerade bei Fleisch- und Wurstwaren die Verpackung eine wichtige Rolle. „Die Qualität und Hygiene von Fleischprodukten hängt stark von den Prozessen nach der Produktion, also der Schlachtung, ab“, erklärt Bach. Anders als hochverarbeitete Lebensmittel wie Limonaden oder Marmeladen sei Fleisch eine heterogene Matrix. „Durch die Verarbeitung kommt es zur Verkeimung und Oxidation, die Farbe und Qualität des Fleisches ändern sich“, so die Wissenschaftlerin. Selbst unter sterilsten Bedingungen ist Fleisch diesen natürlichen Prozessen ausgesetzt.

„Dass Verpackungen Einfluss auf Lebensmittel haben, ist klar. Aber der Einfluss auf die Qualität des Verpackungsgutes ist noch nicht ausreichend erforscht.“ Wechselwirkung Dem EU-geförderten Projekt gehörten neben dem MCI und der Hochschule Kempten noch die Universität Innsbruck an. Auch das deutsche Verpackungsunternehmen Multivac, das Zentrum für Lebensmittel- und Verpackungstechnologie (ZLV) in Kempten sowie der Tiroler Betrieb Naturabiomat, 41


UMWELT & NACHHALTIGKEIT

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Katrin Bach

„Biobasierte Verpackungen zeigen dieselbe Leistung wie herkömmliche Materialien.“

01 Im Labor des MCI wurde mittels invasiver Messmethoden die Fleischqualität untersucht. Dazu wurden die Proben geöffnet und das Verpackungsgut genau analysiert.

Umso leistungsfähiger muss eine Verpackungslösung also sein – die ideale Basis für das Forschungsprojekt.

Lebensmittel, die nicht transparent erhältlich sind, brauchen eine stabile, flüssigkeitsresistente Verpackung oder müssen vor Lichteinfall geschützt sein. „Papierverpackungen sind nicht gut mit dem Bedürfnis des optischen Einkaufserlebnisses des Kunden vereinbar“, ergänzt die Wissenschaftlerin. Das treffe besonders auf Fleisch- und Wurstwaren zu, weshalb Papier aktuell keine denkbare Verpackungsalternative sei.

Alles öko? Neben der Qualität des Füllgutes legte die Studie großes Augenmerk auf die Nachhaltigkeit der untersuchten Materialien. „Zusätzlich zu unterschiedlichen herkömmlichen Verpackungen testeten wir auch biobasierte, pflanzliche, biologisch abbaubare Folien auf ihre Qualität und Tauglichkeit in der Fleischverpackung“, sagt Katrin Bach. Die Grundrohstoffe der Bio-Folien sind Zellulose und Milchsäure, ihr Verrottungszyklus ist wesentlich kürzer als jener von erdölbasierten Materialien. Auch Papier als Verpackungsmaterial wurde für die Studie angedacht. Aber: „Papier ist in der Lebensmittelbranche nur begrenzt nutzbar“, weiß Bach. Der Großteil verpackter Waren ist in durchsichtigen Materialien im Handel. Die wenigen

Zukunftsweisend Das Fazit der Studie wird derzeit für die wissenschaftliche Publikation aufgearbeitet, gegen Ende des Jahres will Katrin Bach erste Ergebnisse veröffentlichen. Vorab könne man nur so viel sagen: „Es gibt große Unterschiede zwischen verschiedenen Verpackungssystemen.“ So zum Beispiel unterscheiden sich vakuumierte, sogenannte „Skin“-Verpackungen von jenen Produkten, die einen luftgefüllten Kopfraum über dem Fleisch haben. 42


UMWELT & NACHHALTIGKEIT

Die Qualimeat-Studie im Schnelldurchlauf

© FRANZ OSS (2)

Nach Projektstart im September 2016 folgten drei Phasen: Das Basislager. Die Hochschule Kempten erstellte eine umfassende Datenbank aller am Markt bestehenden Verpackungslösungen. Ab ins Labor. Die Analysen der Fleischproben führten das MCI und das Institut für Analytische Chemie der Universität Innsbruck durch. Das MCI übernahm die invasiven Messmethoden, bei denen die Verpackung geöffnet und das Fleisch ausgeschnitten wurde. An der Universität wurden nicht-invasive Analysen durchgeführt, bei der durch die Verpackung hindurch untersucht wurde. Teamwork. Gemeinsam mit den Verpackungsunternehmen Multivac und Naturabiomat wurden die Ergebnisse in der Praxis auf ihre Tauglichkeit untersucht. Über das Zentrum für Lebensmittel- und Verpackungstechnologie in Kempten werden die Erkenntnisse der Branche zur Verfügung gestellt.

Ein prägnantes Ergebnis nennt Bach aber: „Biobasierte Verpackungen zeigen dieselbe Leistung wie herkömmliche Materialien.“ Umweltfreundlicheres Bioplastik wirkt sich also nicht negativer auf Qualität und Haltbarkeit des Fleisches aus als bestehende Verpackungssysteme. Auch die Maschinengängigkeit der neuen Folien wurde gemeinsam mit teilnehmenden Verpackungsunternehmen bereits getestet. Resultat: Eine Umstellung auf nachhaltigere Materialien sei auch für die bestehende Maschinerie möglich. „Dieses Ergebnis ist sicherlich eine der großen Leistungen der Studie“, ist Katrin Bach überzeugt. Offen bleibt, ob Konsumenten die etwas teurere Öko-Verpackung honorieren würden.

einen könnten zukünftige Studien die Wechselwirkungen zwischen Bio-Fleisch und Bio-Verpackungen prüfen. Zum anderen verändert sich die Verpackungsbranche durch Produktinnovationen: Das mittlerweile in der Getränkebranche vielfach verwendete Recycle-Plastik könne auch für Fleischund Wurstverpackungen eine Alternative sein. „In der Wiederverwertung erdölbasierter Kunststoffe sehen wir ebenfalls einen großen Trend der Zukunft“, ist Katrin Bach überzeugt.

Trendausblick „Qualimeat liefert eine wichtige Basis für weitere Forschung in der Fleischbranche“, sagt Bach kurz vor Projektabschluss. Die Ergebnisse seien eine gute Grundlage für weitere Untersuchungen. Zum 43


© SXXXXXX

TECHXXX

Alpine Tech Innovation Hub c/o Werkstätte Wattens

Weisstraße 9, 6112 Wattens, Austria hello@alpinetech.at, +43 664 88784466

1.E.C.TS HERMANN HAUSER

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WERKSTAETTE WATTENS

Standortagentur


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Fischschutz mit Strom Wissenschaftler in Innsbruck wollen Wasserkraftanlagen für Fische sicherer machen und erfinden dafür ein System: den Fishprotector. Die Technik ist simpel, aber sehr wirksam und könnte schon bald EU-weit auf Interesse stoßen. Von Eva Schwienbacher

Der studierte Bauingenieur Markus Aufleger leitet den Arbeitsbereich Wasserbau am Institut für Infrastruktur an der Universität Innsbruck und ist Professor für Konstruktiven Wasserbau. Eines seiner Forschungsgebiete ist die Ökologisierung der Wasserkraft.

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chon früh nutzten die Menschen die Kraft des Wassers, um Energie herzustellen. Heute, in Zeiten der Energiewende, gewinnen erneuerbare Energiequellen an Bedeutung. Doch die Nutzung von Gewässern zur Stromerzeugung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Umwelt. Wasserkraftwerke in Flüssen können zur Gefahr für stromabwärts wandernde Fische werden. Zum Beispiel, wenn die Tiere die Anlagen nicht passieren können oder wenn sie in die Turbinen geraten und dadurch verletzt oder getötet werden. Genau diesem Problem widmet sich Barbara Brinkmeier vom Arbeitsbereich Wasserbau an der Uni Innsbruck gemeinsam mit ihrem Kollegen Markus Aufleger in einem Projekt, das 2012 startete. „Unser Ziel war es, ein sehr wirksames und leistbares System für den Fischschutz zur Nachrüstung bestehender Wasserkraftwerke zu entwickeln, das

es bis dato nicht gibt“, erklärt Brinkmeier. „Damit wollen wir einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt in Flüssen leisten.“ Sanfte Abschreckung Ein Projektteam vom Arbeitsbereich Wasserbau testete in aufwendigen Freilandversuchen gemeinsam mit Fischexperten der Universität für Bodenkultur in Wien verschiedene Barrieren. Sie fanden heraus, dass eine Kombination aus zwei Komponenten 45


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DER FISHPROTECTOR FÜR WASSERKRAFTWERKE Eine Erfindung aus Innsbruck hält Fische nicht nur davon ab, in Kraftwerks-Turbinen zu schwimmen, sondern führt sie sogar an den Kraftwerken vorbei. Der sogenannte Fishprotector ist eine Kombination aus mechanischer und elektrischer Barriere, quasi ein elektrischer Unterwasserzaun. ₁. Der Fisch schwimmt mit der Hauptflussströmung in Richtung des Wasserkraftwerkes. ₂. Durch das seitlich am Fisch verlaufende Seitenlinienorgan, das ihm als hochsensibler Ferntastsinn dient, nimmt der Fisch die Barriere – die horizontal gespannten Stahlseile – bereits aus der Entfernung wahr. ₃. Der Fisch reagiert auf das Hindernis und dreht sich gegen die Strömung – eine typische Reaktion von Fischen auf Hindernisse. ₄. Der Fisch nähert sich der Barriere vorsichtig mit der Schwanzflosse voraus. ₅. Plötzlich nimmt der Fisch das elektrische Feld wahr. Es ist zwar ungefährlich, aber der Fisch empfindet es als unangenehm und möchte sich nicht weiter nähern.

HAUPTSTRÖMUNG DES FLUSSES

₁.

₃. ₂.

₆. In pendelnder Bewegung schwimmt der Fisch der Barriere entlang, die ihn in Richtung Bypass und damit am Wasserkraftwerk vorbei leitet.

besonders gut funktioniert: erstens eine mechanische Barriere aus horizontal gespannten Stahlseilen, zweitens ein elektrisches Feld im Niedrigvoltbereich, das die Seile umgibt (siehe Grafik). „Der Fisch nimmt zunächst aus der Entfernung über sein Seitenlinienorgan die Stahlseile wahr und nähert sich ihnen vorsichtig“, erklärt Markus Aufleger die Funktionsweise des Systems. „Das elektrische Feld ist unangenehm und leitet ihn in einem zweiten Schritt an eine Stelle, dem sogenannten Bypass, an der er das Wasserkraftwerk passieren

kann.“ Die Abschreckung erfolgt stufenartig und damit sanft, was laut Aufleger das Innovative an diesem Fischschutzsystem ist. Nächster Schritt: Markteintritt Der „Fishprotector“ getaufte Schutzzaun ist nun in Amerika und Europa durch ein Patent geschützt. Der nächste Schritt ist die Unternehmensgründung, für die es über das Spin-Off-Fellowship der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft finanzielle Unterstützung gibt. Hyfish soll das Unternehmen 46

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© HYFISH

UMWELT & NACHHALTIGKEIT

WEHR Anlage, die das Wasser aufstaut.

STAHLSEILE, DIE FISCHLEBEN RETTEN

BYPASS

WASSERKRAFTWERK

Möglichkeit für den Fisch, sicher am Wasserkraftwerk vorbeizuschwimmen.

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₅.

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KRAFTHAUS MIT TURBINE

ELEKTRISCHES FELD Leichte, ungefährliche Stromimpulse

TURBINENSCHUTZ

Der Fishprotector besteht aus vielen Stahlseilen, die in einem Abstand von ₃₀ bis ₆₀ Millimetern horizontal gespannt sind. Sie decken den kompletten Fließquerschnitt ab. Er hat die Funktion, Fische zu scheuchen und zu leiten. Auf einer Seite sind die Seile fix montiert und mittels Kabel mit einem Schaltschrank verbunden, auf der anderen beweglich befestigt, damit sie zur Reinigung an der Flusssohle abgelegt werden können. Der Schaltschrank gibt Gleichstromimpulse im Millisekundenbereich ab. Die elektrische Spannung, die an den Seilen angelegt ist, liegt im Niedrigvoltbereich und ist für Lebewesen ungefährlich. Das elektrische Feld wirkt abschreckend auf Fische. Je größer ein Fisch ist, desto stärker spürt dieser den Strom. Der Fishprotector funktioniert für verschiedene Fischarten (z. B. Forellen, Aitel, Äschen, Aale ...) und ist für die Nachrüstung mittlerer und großer Wasserkraftanlagen geeignet.

hält Treibgut zurück.

heißen. Für ihr Geschäftsmodell wurden die Entwickler bereits mit dem adventure X-Preis der Standortagentur Tirol und der Wirtschaftskammer Tirol ausgezeichnet. Der Fishprotector könnte in den nächsten Jahren EU-weit auf Interesse stoßen. Denn die sogenannte EU-Wasserrahmenrichtlinie schreibt den Mitgliedsstaaten Maßnahmen zum Fischschutz in Gewässern vor. „Unser Ziel für die Zukunft ist, den Fishprotector am Markt zu etablieren, sodass er zum Stand der Technik wird“, sagt Brinkmeier.

Die promovierte Bauingenieurin Barbara Brinkmeier ist Projektmitarbeiterin am Arbeitsbereich Wasserbau an der Universität Innsbruck. Brinkmeier hat sich auf Fischschutz bei Wasserkraftanlagen spezialisiert.

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Monochrome Mikroben Beim Abbau von Ammonium setzen immer mehr Kläranlagen auf eine spezielle Bakterienart. An der Universität Innsbruck wurde kürzlich eine Methode entwickelt, mit der sich die Konzentration dieser Mikroorganismen einfach bestimmen lässt. Von Simon Leitner

und unkompliziert Aufschluss über die Menge der Anammox-Bakterien gibt. Wertvolle Helfer Was diese Organismen so besonders macht, erklärt Thomas Pümpel, der gemeinsam mit seiner Kollegin Sabine Podmirseg für die Entwicklung des neuen Messverfahrens verantwortlich zeichnet. „Anammox-Bakterien brauchen im Gegensatz zu anderen keinen Sauerstoff, um Stickstoff zu entfernen“, so der Wissenschaftler. „Der Abbau von Ammonium ist dadurch deutlich effektiver als bei herkömmlichen Methoden, weil eben keine permanente Sauerstoffzufuhr nötig ist.“ Das einzige Problem dabei: Die Bakterien reproduzieren sich selbst unter idealen Bedingungen nur ungemein langsam. Im Unterschied zu den übrigen in Klärwerken beheimateten Mikroben, die zwischen 30 Minuten und zwölf Stunden für eine Zellteilung benötigen, vermehren sich Anammox-Bakterien mitunter erst nach rund zwei Wochen. „Deshalb muss man, wenn man sie erst einmal in der Anlage etabliert hat, gut auf sie aufpassen – und fortlaufend überwachen“, berichtet Pümpel. Dies gilt insbesondere beim Hochfahren eines neuen Bioreaktors oder in Zeiten erhöhten Abwasseranfalls, etwa bei Hitzewellen oder zu Saisonbeginn in Tourismusdestinationen.

Thomas Pümpel ist Assistenzprofessor für Mikrobiologe an der Universität Innsbruck. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten von Anammox-Bakterien sowie Untersuchungen zu den optimalen Lebensbedingungen dieser Organismen.

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lärwerke sind heute zu einem hohen Grad technisiert, beinahe jeder einzelne Schritt bis ins letzte Detail automatisiert. Doch die Hauptrolle bei der Abwasserreinigung spielen nicht Technik und Mechanik, sondern Bakterien: Sie sorgen, gemeinsam mit anderen Mikroorganismen, für den Abbau organischer Stoffe und somit dafür, dass das Wasser nicht nur sauber, sondern auch rein wird. In vielen Anlagen kommen im Rahmen dieser biologischen Reinigung sogenannte Anammox-Bakterien zum Einsatz, die giftiges Ammonium in Luftstickstoff umwandeln. Bisher gab es keine Möglichkeit, ihre Konzentration direkt vor Ort zu messen, wodurch die laufende Kontrolle dieser speziellen Mikroben nur unter hohem Aufwand zu realisieren war. Vor Kurzem wurde jedoch am Institut für Mikrobiologie in Innsbruck ein Schnelltest vorgestellt, der rasch

Bei Licht besehen Bisher war, um Bestand wie Wachstum der Mikroorganismen ermitteln zu können, eine

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UMWELT & NACHHALTIGKEIT

Thomas Pümpel

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© AXEL SPRINGER

„Im Grunde mussten wir nur eine Möglichkeit finden, den Farbstoff freizusetzen und zu stabilisieren.“

molekularbiologische Untersuchung in einem speziell ausgestatteten Labor erforderlich. Mit der von Pümpel und Podmirseg konzipierten Messmethode lässt sich die Anreicherung der Bakterien mit geringerem Aufwand und direkt in der jeweiligen Kläranlage bestimmen. Dabei macht man sich ein spezifisches Merkmal der Mikroben zunutze: die hohe Konzentration des Farbstoffs Häm. Diesen tragen zwar auch andere Mikroorganismen in sich, allerdings nicht in einem solchen Ausmaß wie die Anammox-Bakterien. Für den Schnelltest wird nun das Häm freigesetzt und mittels eines Photometers gemessen. Dazu entnimmt man eine Biomassenprobe aus dem Klärbecken und gibt Chemikalien hinzu, um die Bakterien aufzubrechen. Anschließend stellt man mit Lichtstrahlen einer bestimmten Wellenlänge die Intensität des extrahierten roten Farbstoffs fest. Diese gibt schließlich Aufschluss über die Aktivität der Anammox-Bakterien im Klärwerk, was das Monitoring erheblich erleichtert. So kann das Personal bei etwaigen Problemen entsprechende Gegenmaßnahmen setzen, um den Pegel der Mikroorganismen konstant zu halten – und zwar bevor es dafür zu spät ist.

01 Farbe bekennen: Beim Extraktionsverfahren werden der Biomassenprobe Chemikalien hinzugefügt, anschließend wird das Ganze erhitzt und abfiltriert. Dadurch erhält man eine klare Lösung, deren Rotton vom freigesetzten Häm der Anammox-Bakterien herrührt.

nur eine Möglichkeit finden, ihn freizusetzen und zu stabilisieren“, erzählt der Mikrobiologe. „Anfangs nahm dieser Prozess noch mehrere Schritte in Anspruch. Irgendwann haben wir allerdings erkannt, dass wir zwei Reaktionen kombinieren und auf eine verzichten können. Damit war der schwierigste Teil erledigt.“ Das Verfahren wurde für Europa und die USA zum Patent angemeldet und an einen der Marktführer für Routineanalytik lizensiert. Dieser hat schließlich in Zusammenarbeit mit den Forschern der Universität Innsbruck ein Kit entwickelt, das alle Utensilien für die Bestimmung der Anammox-Bakterien enthält. „Solche Kits sind in modernen Anlagen längst etabliert, sie kommen für die laufende Überprüfung aller möglichen Parameter zum Einsatz“, sagt Pümpel. „Durch unsere Methode lassen sich nun auch die Anammox-Bakterien messen – und das in gerade einmal 15 Minuten.“

Späte Entdeckung

Patentrezept Die Entwicklung des Extraktionsverfahrens, so Pümpel, sei letztendlich einfacher vonstattengegangen als erwartet. „Uns war schon früh klar, dass es eigentlich nur mit dem Farbstoff funktionieren kann. Im Grunde mussten wir also

Allerdings hat es noch rund zwei Jahrzehnte gedauert, bis man ebendiese Organismen, die Anammox-Bakterien, entdeckt hat – weil sie sich zufällig in einer Kläranlage angereichert haben.

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© THOMAS PÜMPEL

Die Anammox-Bakterien wurden bereits in den 1970er Jahren vom Wiener Biochemiker Engelbert Broda vorhergesagt: Ausgehend von der Annahme, dass es Organismen für jede Form der Energieausnutzung gibt, vermutete er, dass auch welche für einen spezifischen Stickstoffumsatz existieren müssten.


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Duschen mit Sophie Energieeffizienz ist einer der Schlüssel zur Energiewende. Auf seiner Suche nach Einsparpotenzialen entdeckte Pavel Sevela einen bislang kaum beachteten Aspekt, den Energieaufwand von Duschen. Nun will er mit einem selbst entwickelten System neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit setzen. Von Daniel Schreier

aus unterschiedlichen Bereichen neue Wege zur Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden zu entwickeln. Im Zuge dessen stieß er auf einen Bereich, der bislang vernachlässigt wurde. Obwohl der Heizwärmebedarf von Gebäuden in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat, ist die Menge an Energie, die für die Bereitstellung von Warmwasser benötigt wird, nahezu unverändert geblieben: „Kurz gesagt ist heute bei hochwärmegedämmten Gebäuden der Endenergiebedarf für Warmwasser bereits höher als der Heizwärmebedarf“, erläutert Sevela. Ihm wurde klar, dass es im Bereich des Duschwassers noch massives Einsparungspotenzial gibt, das bisher noch von keiner Technologie wirklich ausgeschöpft wird. „Durchschnittlich benötigt jeder von uns bei einem Duschgang sechs Minuten lang 40 Grad warmes Wasser, das danach ohne weitere Verwendung in die Kanalisation geht – egal mit welcher Energieform man das Wasser erwärmt“, erklärt Sevela. Dabei spielt das Duschwarmwasser in Wohngebäuden mit zirka 66 Prozent des gesamten Warmwasserbedarfs eine Schlüsselrolle. Der Wissenschaftler erkannte, dass es hier noch keine unkomplizierte technische Lösung gibt, die den Energieverlust beim Duschen effektiv kompensiert. Er entschied sich, selbst aktiv zu werden und ein Produkt zu entwickeln, das sich dieses Problems annimmt.

Pavel Sevela ist studierter Bauingenieur und arbeitet als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen der Universität Innsbruck. Sevela vereint in seiner wissenschaftlichen Arbeit sein enormes Praxiswissen im Design sowie der Planung und Errichtung von nachhaltigen Gebäuden mit der theoretischen Forschung zum Thema interdisziplinäre Nachhaltigkeit.

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ie Schlagwörter energieeffizientes Bauen und Wohnen sind in aller Munde. Gezielte Forschung hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte bei der Konstruktion von Gebäudehüllen und -technik hervorgebracht. Dadurch konnten enorme Einsparungen beim Bedarf an Heizwärme und Energie erzielt werden. Das bedeutet auch einen wichtigen Etappensieg bei der Reduktion von Energieverbrauch und Emissionen im Bereich des Wohnens. Gerade diese werden essenziell sein, um die Klimaziele der Agenda 2030 zu erreichen, die fast alle europäischen Staaten inklusive Österreich ratifiziert haben. Unausgeschöpftes Potenzial Pavel Sevela vom Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen an der Universität Innsbruck forscht im Bereich interdisziplinäre Nachhaltigkeit. Dessen Ziel ist es, durch die Verbindung von Know-how

Die smarte Dusche Sevelas technische Innovation, die smarte Dusche Sophie, ist eine kompakte Lösung für die Warm50


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Pavel Sevela

„Heute ist der Endenergiebedarf für Warmwasser bei hochwärme­ gedämmten Gebäuden bereits höher als der Heizwärmebedarf.“

© SHUTTERSTOCK.COM

wasserrückgewinnung. Das System setzt auf einen sogenannten Gegenstrom-Wärmeübertrager – eine Vorrichtung, die Wärme aus dem Abwasser zurückgewinnt und diese zum Vorwärmen des Frischwassers verwendet. So sollen mit Sophie in Zukunft bis zu 80 Prozent der Energie, die zur Erwärmung von Duschwasser gebraucht wird, eingespart werden können. Das System ist dabei nicht nur hocheffizient, sondern kann auch ohne komplizierte Umbauarbeiten installiert werden. Weil es außer dem Kaltwasser keine Anschlüsse an bestehende Wasserkreisläufe benötigt, ist der Mehraufwand minimal: „Sophie wird auf die Baustelle geliefert und kann direkt, ohne weiteren großen technischen Aufwand, in wenigen Schritten installiert werden. Alle aktiven und passiven Bestandteile sind bereits enthalten“, so Sevela. Alles in allem nimmt die Montage rund eine Stunde in Anspruch – eine kleine Revolution für Bauherren und die ausführenden Unternehmen, die damit nicht nur Arbeitszeit sparen, sondern auch ihre Bau- und Sanierungsrate mit effizienterer Technik erhöhen können.

01 Das smarte Duschsystem Sophie verwendet die Wärme des abfließenden Duschwassers dazu, kaltes Wasser auf die gewünschte Temperatur von zirka 40 Grad Celsius zu erwärmen.

finanziert, liegt bei Sportstätten bei wenigen Monaten. Bei Hotels rechnen wir damit, dass die Kosten innerhalb von fünf Jahren wieder eingespielt sind.“ Auf dem Weg zum fertigen Produkt Derzeit befindet sich Sophie in der Entwicklungsphase. Sevela und sein Team arbeiten aktuell an einem betriebsfähigen Prototypen. Ihre Finanzierung erhalten die Wissenschaftler aus einem Spin-offFellowship der Forschungsförderungsgesellschaft FFG. Im nächsten Schritt soll die Vernetzung mit Partnern in der Industrie und potenziellen Investoren vorangetrieben werden, um Sophie auf den Markt bringen zu können. Außerdem ist Sevela auf der Suche nach „Early Adoptern“, also Partnern, die bereit sind, die ersten fertigen Sophie-Duschsysteme auf ihren Baustellen zu installieren. Zum einen arbeiten die Unternehmer mit ihrem im Rahmen eines Spin-off-Projekts der Universität Innsbruck gegründeten Wissenschafts-Start-up natürlich auf wirtschaftlichen Erfolg hin. Zum anderen ist ihr Ziel aber auch ein idealistisches: Die erfolgreiche Umsetzung des Forschungsprojekts soll schon einen wichtigen energetischen, ökologischen und wirtschaftlichen Beitrag zur Effizienz in Gebäuden und der Erreichung der Klimaziele leisten.

Enorme Einsparungen Mittlerweile hat sich Sevela zur Unternehmensgründung entschieden und konnte mit seiner innovativen Idee bereits einige Wettbewerbe, wie das 120-Sekunden-Ideencasting 2018 der Standortagentur Tirol gewinnen. Er sieht großes Potenzial für das Produkt am Markt. Jährlich werden in Österreich bei Neubau und Sanierungen im privaten und öffentlichen Wohnbau ca. 70.000, in der Hotellerie ca. 60.000 und im Bereich von Fitnessund Sportanlagen ca. 5.000 neue Duschen angeschlossen. Eine Umstellung auf Sophie rentiere sich für Kunden durch das Einsparungspotenzial von Betriebskosten schon innerhalb kürzester Zeit, rechnet Sevela vor: „Der Amortisationszeitraum, also die Zeit, in der sich das Investment selbst 51


MEDIZIN

AUSSERDEM: NEUES ZUM THEMA

UMWELT & NACHHALTIGKEIT

WARM, WÄRMER, ÜBERREAKTION

50 Jahre lang haben Forscher in Island die Erwärmung von Böden aufgezeichnet. Jetzt wurden die Daten erstmals ausgewertet, unter anderem vom Ökologen Michael Bahn von der Universität Innsbruck. Daraus konnten Erkenntnisse über die Auswirkungen von Bodenerwärmung auf Ökosysteme gewonnen werden. Wie sich zeigt, unterscheiden sich kurzfristige dabei drastisch von den langfristigen Effekten. In den ersten fünf bis acht Jahren kommt es zu einer Überreaktion des Ökosystems. Wenn die Erwärmung Jahrzehnte anhält, entsteht ein neues Gleichgewicht. Das hat jedoch seinen Preis. Damit einher gehen nämlich ein verringerter Artenreichtum, eine geänderte Artenzusammensetzung, eine deutlich geringere Biomasse und drastisch weniger Kohlenstoffspeicherung im Boden.

Den Jahresverbrauch von insgesamt rund 100 durchschnittlichen österreichischen Vier-Personen-Haushalten spart die Privatuniversität UMIT seit Kurzem im Jahresbetrieb ein. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in den vergangenen Monaten auf dem Dach der Hochschule eine Photovoltaikanlage installiert sowie das Wärmerückgewinnungssystem des Universitätsgebäudes erneuert. So können jährlich rund 125 Tonnen Co2 eingespart werden. Dafür wurde die UMIT nun mit dem Klimaaktiv-Preis ausgezeichnet.

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MIT GUTEM BEISPIEL VORAN


UMWELT &XXXXXXX NACHHALTIGKEIT

30 km/Tag

T NACHHALTIGKEI N G E H T D U RC H D E MAGEN

Der Co2-Ausstoß einer 30 Kilometer weiten Autofahrt, das ist der ökologische Fußabdruck, den jeder Tiroler durchschnittlich durch sein Essverhalten verursacht – und das jeden Tag. Pro Jahr entstehen so Treibhausgase, die der schädlichen Wirkung von 1,53 Tonnen CO2 entsprechen. Das hat eine Studie des Bereichs Diätologie der fh gesundheit Tirol anhand der ersten Tiroler Ernährungserhebung ergeben.

Die größten CO2-Lieferanten sind dabei Fleisch und Wurstwaren und die Gruppe der Milchprodukte. Für den Neujahrsvorsatz empfehlen die Forscher heimisches Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Diese sind nicht nur gut und gesund, sondern auch klimafreundlich.

SCHNEEERZEUGUNG LEICHT GEMACHT Technische Beschneiung soll effizienter und nachhaltiger werden. Das ist das erklärte Ziel des Schneezentrums am MCI. Beitragen dazu soll ein System mit dem klingenden Namen Limes, das auf einer Entwicklung des Tiroler Unternehmers Frank Wille aufbaut. Seine Technologie nutzt anstelle von Wasserdampf Unterschiede in der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers. Und wie erste breit angelegte Tests mit Prototypen gezeigt haben, verspricht diese Methode nicht nur niedrige Anschaffungs- und Energiekosten, sondern sondern macht es auch möglich, verhältnismäßig unabhängig von der umgebenden Luftfeuchtigkeit Schnee zu produzieren. Dafür wurde Limes nun mit dem Swiss Excellence Product Award ausgezeichnet.

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ZUM SCHLUSS

Erfinderinnengeist Die Wissenschaftsgeschichte rühmt vor allem Erfindungen von „alten weißen Männern“. So einige Frauen haben sich aber in vermeintlichen Männerdomänen bewiesen und ihrem maskulinen Pendant gezeigt, wo der Hammer hängt. Von Theresa Kleinheinz

Sonnenkönigin Dass auch der kleine Mann sein Einfamilienhaus mithilfe einer Solarplatte heizen kann, geht auf Mária Telkes zurück. Damit die Soldaten der US-Navy im Zweiten Weltkrieg nicht verdursten, hat die emigrierte Ungarin eine solarbetriebene Entsalzungsanlage entwickelt. Nach dem Krieg konnte mit ihrer Technologie das erste vollständig mit Sonnenkraft beheizte Haus gebaut werden.

Braumeisterinnen In Mesopotamien war die Göttin Ninkasi fürs Bier zuständig. Da verwundert es nicht, dass die Braukunst in Frauenhand lag, wie auch archäologische Quellen bezeugen. Man hat das Bier in Ägypten sogar als Grabbeigabe gefunden. Das heilige, von Frauen gemachte Getränk begleitete die Menschen also sogar bis ins Jenseits.

Computer ist Frauensache Ada Lovelace hat 1842 einen Artikel über die Analytical Engine übersetzt und eigene Überlegungen in Randnotizen angefügt. Die Rechenmaschine selbst wurde so zwar nie gebaut. Lovelace’ Notizen legten aber den Grundstein für die Programmierung und damit für das Funktionieren von Computern.

Sternstunden Lange hat die Menschheit geglaubt, die Sonne würde sich um sie drehen. Noch länger dachte man, die Erde und das Zentralgestirn bestünden aus denselben Elementen. Bis Cecilia PayneGaposchkin 1925 bewies, dass sich Sterne aus Wasserstoff und Helium zusammensetzen. Leicht hatte sie es nicht: Weil sie in Cambridge als Frau das Studium nicht abschließen durfte, wanderte sie in die USA aus.

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Frau Doktor Die Biologin Ann Tsukamoto war Teil des Forscherteams, das es 1991 schaffte, blutbildende Stammzellen zu identifizieren. In einem nächsten Schritt konnte das Team die Zellen isolieren und damit maßgeblich zur Krebsforschung beitragen.

© ILLUSTRATION: ALINA KLAMPFER

Schusssicher Ballistische Helme, kugelsichere Westen und reißfeste Seile wahren meistens die Leben von waghalsigen Männern. Dass diese Utensilien ihren Dienst erfüllen und Männer (sowie Frauen!) schützen, ist Stephanie Kwoleks Kevlar-Faser zu verdanken. Als Studentin jobbte sie im Chemiekonzern DuPont und wollte ein leichteres Material für Autoreifen entwickeln. Herausgekommen ist 1965 ein Material, das so zäh ist wie sein Name: Polyparaphenylen-Terephtalamid.


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